610-6-8-3610-6-8-1
Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022
1803
Verordnung
zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Absatz 1
des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen
(Funktionsverlagerungsverordnung FVerlV)
Vom 18. Oktober 2022
Auf Grund des § 1 Absatz 6 des Außensteuergeset
zes vom 8. September 1972 (BGBl. I S. 1713), der
durch Artikel 5 Nummer 1 Buchstabe c des Gesetzes
vom 2. Juni 2021 (BGBl. I S. 1259) neu gefasst worden
ist, verordnet das Bundesministerium der Finanzen:
Abschnitt 1
Allgemeine Vorschriften
§1
Begriffsbestimmungen
(1) Eine Funktion ist eine Geschäftstätigkeit, die aus
einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher
Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder
Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Sie
ist ein organischer Teil eines Unternehmens, ohne dass
ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss.
(2) Eine Funktionsverlagerung im Sinne des § 1 Ab
satz 3b des Gesetzes liegt vor, wenn eine Funktion ein
schließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken
sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirt
schaftsgüter oder sonstigen Vorteile ganz oder teil
weise übertragen oder überlassen wird, so dass das
übernehmende Unternehmen diese Funktion ausüben
oder eine bestehende Funktion ausweiten kann. Die
nach Satz 1 verlagerte Funktion als Ganzes bildet das
Transferpaket. Geschäftsvorfälle, die innerhalb von
fünf Wirtschaftsjahren verwirklicht werden, sind zu
dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des
Satzes 1 durch ihre gemeinsame Verwirklichung wirt
schaftlich erfüllt sind, als einheitliche Funktionsver
lagerung zusammenzufassen.
(3) Immaterielle Wirtschaftsgüter sind in Fällen von
Funktionsverlagerungen wesentlich im Sinne des § 1
Absatz 3b Satz 2 des Gesetzes, wenn sie für die
verlagerte Funktion erforderlich sind und ihr Fremd
vergleichspreis insgesamt mehr als 25 Prozent der
Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und
sonstigen Vorteile des Transferpakets beträgt und dies
unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Funk
tionsverlagerung, die aus den Aufzeichnungen im
Sinne des § 2 Satz 2 hervorgehen, glaubhaft ist.
(4) Erbringt ein übernehmendes Unternehmen die
bisher ausschließlich gegenüber dem verlagernden
Unternehmen erbrachten Leistungen eigenständig,
ganz oder teilweise, gegenüber anderen Unternehmen
zu Preisen, die höher sind als das Entgelt nach der
Kostenaufschlagsmethode oder die entsprechend
dem Fremdvergleichsgrundsatz höher anzusetzen
sind, ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung ge
genüber den anderen Unternehmen für bisher unent
geltlich vom verlagernden Unternehmen für die Leis
tungserbringung zur Verfügung gestellte Wirtschafts
güter und sonstige Vorteile ein Entgelt entsprechend
§ 2 zu verrechnen; die betreffenden Wirtschaftsgüter
oder sonstigen Vorteile gelten als ein Transferpaket,
soweit hierfür die sonstigen Voraussetzungen gegeben
sind.
(5) Eine Funktionsverlagerung im Sinne des Absat
zes 2 liegt nicht vor, wenn es innerhalb von fünf Jahren
nach Aufnahme der Funktion durch das übernehmende
Unternehmen zu keiner Einschränkung der Ausübung
der betreffenden Funktion beim verlagernden Unter
nehmen kommt, obwohl die übrigen Voraussetzungen
des Absatzes 2 Satz 1 erfüllt sind (Funktionsverdoppe
lung). Kommt es innerhalb dieses Zeitraums zu einer
solchen Einschränkung, liegt zum Zeitpunkt, in dem
die Einschränkung eintritt, insgesamt eine Funktions
verlagerung vor, es sei denn, der Steuerpflichtige
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macht glaubhaft, dass diese Einschränkung nicht in
unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit
der Funktionsverdoppelung steht.
Abschnitt 2
Transferpaketberechnung
§5
Kapitalisierungszeitraum
Werden keine Gründe für einen bestimmten, von
den Umständen der Funktionsausübung abhängigen
Kapitalisierungszeitraum nachgewiesen, ist ein unbe
grenzter Kapitalisierungszeitraum zu Grunde zu legen.
§2
§6
Wert des Transferpakets
Bestimmung des Einigungsbereichs
Der Einigungsbereich (§ 6) ist unter Berücksichti
gung aller Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage
einer Funktions- und Risikoanalyse vor und nach der
Funktionsverlagerung zu ermitteln, wobei neben tat
sächlich bestehenden Handlungsalternativen auch
Standortvorteile oder -nachteile, Synergieeffekte sowie
Steuereffekte zu berücksichtigen sind. Ausgangspunkt
für die Berechnungen sind die Unterlagen, die Grund
lage für die Unternehmensentscheidung waren, eine
Funktionsverlagerung durchzuführen. Für die Berech
nung des Einigungsbereichs ist eine kapitalwertorien
tierte Bewertungsmethode zu verwenden. Hierfür sind
die dem Maßstab des § 1 Absatz 1 Satz 3 des Geset
zes entsprechenden Erwartungen der finanziellen
Überschüsse der beteiligten Unternehmen, angemes
sene Kapitalisierungszinssätze (§ 4) und ein von den
Umständen der Funktionsausübung abhängiger Kapi
talisierungszeitraum (§ 5) zu Grunde zu legen.
(1) Für ein verlagerndes Unternehmen, das aus der
Funktion finanzielle Überschüsse zu erwarten hat,
ergibt sich die Untergrenze des Einigungsbereichs
(Mindestpreis) im Sinne des § 1 Absatz 3a Satz 5 des
Gesetzes aus dem Ausgleich für den Wegfall oder die
Minderung der finanziellen Überschüsse zuzüglich der
gegebenenfalls anfallenden Schließungskosten. Maß
gebend ist der Barwert. Tatsächlich bestehende Hand
lungsalternativen, die das verlagernde Unternehmen
als vom übernehmenden Unternehmen unabhängiges
Unternehmen hätte, sind zu berücksichtigen, ohne die
unternehmerische Dispositionsbefugnis des verlagern
den Unternehmens in Frage zu stellen.
§3
Bestandteile des Transferpakets
(1) Werden für einzelne Teile des Transferpakets un
terschiedliche Vereinbarungen getroffen oder sind sol
che Vereinbarungen dem Fremdvergleichsgrundsatz
entsprechend anzunehmen, sind für alle Teile des
Transferpakets Fremdvergleichspreise anzusetzen, die
insgesamt dem nach § 2 bestimmten Wert des Trans
ferpakets als Ganzem entsprechen.
(2) In den Fällen des § 1 Absatz 2 Satz 3, des § 1
Absatz 4 oder des § 1 Absatz 5 Satz 2, sind die Ver
rechnungspreise für die Geschäftsvorfälle, die dazu
geführt haben, dass eine Funktionsverlagerung vor
liegt, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend
so anzusetzen, dass sie zusammen mit den ursprüng
lich bestimmten Verrechnungspreisen dem nach § 2
bestimmten Wert des Transferpakets als Ganzem ent
sprechen.
§4
Kapitalisierungszinssatz
Zur Bestimmung des jeweils angemessenen Kapita
lisierungszinssatzes ist, unter Berücksichtigung der
Äquivalenzprinzipien, vom Zins für eine risikolose In
vestition auszugehen, auf den ein vom Kapitalmarkt
abgeleiteter risikoadäquater Zuschlag vorzunehmen
ist. Die Laufzeit der vergleichbaren risikolosen Investi
tion richtet sich danach, wie lange die übernommene
Funktion voraussichtlich ausgeübt wird. Der Zuschlag
ist so zu bemessen, dass er sowohl für das über
nehmende als auch für das verlagernde Unternehmen
die in vergleichbaren Fällen zwischen fremden Dritten
jeweils zur Risikobeurteilung relevanten Umstände be
rücksichtigt.
(2) In Fällen, in denen das verlagernde Unternehmen
aus rechtlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen
Gründen nicht mehr dazu in der Lage ist, die Funktion
mit eigenen Mitteln selbst auszuüben, entspricht der
Mindestpreis dem Liquidationswert.
(3) Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus
der es dauerhaft keine finanziellen Überschüsse zu er
warten hat, kann es dem Verhalten eines ordentlichen
und gewissenhaften Geschäftsleiters des verlagernden
Unternehmens entsprechen, zur Begrenzung von Ver
lusten als Mindestpreis ein Entgelt für die Funktions
verlagerung zu akzeptieren, das die anfallenden
Schließungskosten nur teilweise deckt, oder eine Aus
gleichszahlung an das übernehmende Unternehmen
für die Übernahme der Verlustquelle zu leisten.
(4) Der Barwert der zu erwartenden finanziellen
Überschüsse des übernehmenden Unternehmens aus
der übernommenen Funktion ist regelmäßig die Ober
grenze des Einigungsbereichs (Höchstpreis) im Sinne
des § 1 Absatz 3a Satz 5 des Gesetzes. Tatsächlich
bestehende Handlungsalternativen, die das überneh
mende Unternehmen als vom verlagernden Unterneh
men unabhängiges Unternehmen hätte, sind zu be
rücksichtigen, ohne die unternehmerische Disposi
tionsbefugnis des übernehmenden Unternehmens in
Frage zu stellen.
(5) Auch in den Fällen der Absätze 2 und 3, in denen
der Mindestpreis des verlagernden Unternehmens bei
Null oder darunter liegt, ist nach dem Fremdvergleichs
grundsatz zu prüfen, welchen Preis ein unabhängiger
Dritter bereit wäre, für die Übernahme der Funktion zu
bezahlen.
§7
Schadensersatz-,
Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche
Gesetzliche oder vertragliche Schadensersatz-, Ent
schädigungs- und Ausgleichsansprüche sowie An
sprüche, die voneinander unabhängigen Dritten zu
stünden, wenn ihre Handlungsalternativen vertraglich
oder tatsächlich ausgeschlossen würden, können der
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Besteuerung einer Funktionsverlagerung zu Grunde
gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft
macht, dass solche Dritte unter ähnlichen Umständen
in vergleichbarer Art und Weise verfahren wären. Der
Steuerpflichtige muss zusätzlich nachweisen, dass
keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter
oder sonstigen Vorteile übertragen oder zur Nutzung
überlassen worden sind, es sei denn, die Übertragung
oder Überlassung ist zwingende Folge von Ansprüchen
im Sinne des Satzes 1.
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Gesetzes § 1 Absatz 3b des Gesetzes auf eine Ge
schäftsbeziehung im Sinne des § 1 Absatz 4 Satz 1
Nummer 2 des Gesetzes anzuwenden ist.
§9
Anwendungsvorschrift
Diese Verordnung ist erstmals für Veranlagungszeit
räume anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021
beginnen.
Abschnitt 3
§ 10
Schlussvorschriften
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
§8
Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung
in Kraft. Gleichzeitig tritt die Funktionsverlagerungsver
ordnung vom 12. August 2008 (BGBl. I S. 1680), die
durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Juni 2013
(BGBl. I S. 1809) geändert worden ist, außer Kraft.
Anwendung auf Betriebsstättenfälle
Die Vorschriften dieser Verordnung sind entspre
chend anzuwenden, soweit nach § 1 Absatz 5 des
Der Bundesrat hat zugestimmt.
Berlin, den 18. Oktober 2022
Der Bundesminister der Finanzen
Christian Lindner