Bundesgesetzblatt  Bundesgesetzblatt Teil I  2022  Nr. 38 vom 25.10.2022  - Seite 1816 bis 1831 - Verordnung über die von den Traumaambulanzen in der Sozialen Entschädigung zu erfüllenden Qualitätskriterien und die Pflichten der Traumaambulanz (Traumaambulanz-Verordnung – TAV)

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1816 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 Verordnung über die von den Traumaambulanzen in der Sozialen Entschädigung zu erfüllenden Qualitätskriterien und die Pflichten der Traumaambulanz (Traumaambulanz-Verordnung ­ TAV) Vom 20. Oktober 2022 Auf Grund des § 38 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Vierzehntes Buch ­ Soziale Entschädigung ­ vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652) verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales: §1 2. Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psy chotherapie oder Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 3. Facharzt für Psychotherapeutische Medizin oder Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Regelungsgegenstand 4. Psychologischer Psychotherapeut oder Psycholo gische Psychotherapeutin oder Diese Verordnung regelt für den Bereich der Sozia len Entschädigung die von der Traumaambulanz, die Leistungen nach Kapitel 4 Abschnitt 3 des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch erbringt, zu erfüllenden Voraussetzungen. 5. Psychotherapeut mit einer Weiterbildung im Sinne des § 95c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder Psy chotherapeutin mit einer solchen Weiterbildung. §2 Antrag, Leistungserbringung durch die Traumaambulanz (1) Die Traumaambulanz informiert Leistungsbe rechtigte bei Behandlungsbeginn, jedoch spätestens nach der zweiten Sitzung, dass für eine über die ersten beiden Sitzungen hinausgehende Leistungserbringung eine Antragstellung erforderlich ist und unterstützt die Leistungsberechtigten auf Wunsch bei der Stellung des Antrages. Die Unterstützung erfolgt außerhalb der Sitzung. Die Traumaambulanz leitet den Antrag unver züglich an die nach Landesrecht zuständige Behörde weiter. § 11 Absatz 4 Satz 2 des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt. (2) Die Dauer einer einzelnen Sitzung in der Trauma ambulanz muss mindestens 50 Minuten betragen. Werden erforderliche Dolmetsch-, Übersetzungs- oder Kommunikationshilfeleistungen nach § 12 des Vier zehnten Buches Sozialgesetzbuch erbracht, beträgt die Dauer der einzelnen Sitzung in der Regel 75 Minu ten. Die Aufteilung der Sitzungen in Abschnitte von je weils 25 Minuten ist zulässig. (3) Die Leistungsberechtigten sollen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten das Geschlecht der be handelnden Person, die die Sitzungen durchführt, wäh len können. Bis zum Ende der Behandlung soll ein Wechsel der behandelnden Person nicht stattfinden, es sei denn, der oder die Leistungsberechtigte wünscht dies. (2) Die in Absatz 1 genannten Mitarbeiter und Mit arbeiterinnen müssen für die Behandlung von Erwach senen in einer Traumaambulanz über eine traumaspe zifische Qualifikation verfügen, die 1. durch die zuständige Landesärztekammer oder Landespsychotherapeutenkammer zertifiziert ist und 2. zumindest den Inhalten der Module I und II des Curriculums nach Anlage 1 entspricht. Satz 1 gilt nicht, wenn die in Satz 1 Nummer 2 genann ten Inhalte oder vergleichbare Inhalte bereits Gegen stand einer Weiterbildung, Zusatzweiterbildung oder postgraduierter Ausbildung der in Absatz 1 genannten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren. Es genügt, wenn die in Satz 1 genannte Qualifikation spätestens ein Jahr nach Aufnahme der Tätigkeit in der Trauma ambulanz vorliegt. (3) Von den in Absatz 2 genannten Anforderungen kann für die Dauer der Laufzeit der zwischen der nach Landesrecht zuständigen Behörde und der Traumaam bulanz abgeschlossenen Vereinbarung abgewichen werden, wenn die Versorgung mit einer ausreichenden Anzahl an Traumaambulanzen anderenfalls nicht si chergestellt werden kann. Die Versorgung mit Trauma ambulanzen ist dann nicht ausreichend, wenn die Anzahl der Traumaambulanzen so gering ist, dass Leistungsberechtigte eine Traumaambulanz nicht nach einer zumutbaren Fahrzeit im Sinne des § 7 Absatz 2 erreichen können. §4 §3 Qualifikationsanforderungen bei Behandlung von Erwachsenen (1) Für die Behandlung von Erwachsenen setzt die Traumaambulanz Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein, die eine der folgenden Berufsqualifikationen aufwei sen: 1. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Qualifikationsanforderungen bei Behandlung von Kindern und Jugendlichen (1) Für die Behandlung von Kindern und Jugend lichen setzt die Traumaambulanz Mitarbeiter und Mit arbeiterinnen ein, die eine der folgenden Berufsquali fikationen aufweisen: 1. Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 2. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, 3. Psychologischer Psychotherapeut mit Zusatzquali fikation zur Behandlung von Kindern und Jugend lichen oder Psychologische Psychotherapeutin mit Zusatzqualifikation zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder 4. Psychotherapeut mit einer Weiterbildung im Sinne des § 95c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder Psy chotherapeutin mit einer solchen Weiterbildung. (2) Die in Absatz 1 genannten Mitarbeiter und Mit arbeiterinnen müssen für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen in einer Traumaambulanz über eine traumaspezifische Qualifikation verfügen, die 1. durch die zuständige Landesärztekammer oder Landespsychotherapeutenkammer zertifiziert ist und 2. zumindest den Modulen des Teils A Nummer 7 und 8 der Empfehlung nach Anlage 2 entspricht. Satz 1 gilt nicht, wenn die in Satz 1 Nummer 2 genann ten Inhalte oder vergleichbare Inhalte bereits Gegen stand einer Weiterbildung, Zusatzweiterbildung oder postgraduierten Ausbildung der in Absatz 1 genannten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren. Es genügt, wenn die in Satz 1 genannte Qualifikation spätestens ein Jahr nach Aufnahme der Tätigkeit in der Trauma ambulanz vorliegt. (3) Die in Absatz 1 genannten Personen, die Kinder und Jugendliche behandeln, die Opfer sexuellen Miss brauchs geworden sind, müssen verfügen über 1. fundierte Kenntnisse über a) körperliche und emotionale Misshandlung im Kindes- und Jugendalter, b) körperliche und emotionale Vernachlässigung im Kindes- und Jugendalter, c) sexuellen Missbrauch im Kindes- und Jugend alter und d) Folgen der in den Buchstaben a bis c beschrie benen Erfahrungen sowie 2. Fertigkeiten im Umgang mit betroffenen Patienten und Patientinnen und ihren Bezugspersonen sowie Kenntnisse für eine Zusammenarbeit im sozialen Unterstützungssystem von Kindern und Jugend lichen. Die in Satz 1 genannten Kenntnisse und Fertigkeiten gelten durch eine mindestens zweijährige Berufserfah rung bei der Behandlung von Kindern und Jugend lichen, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, oder durch eine gleichwertige Fortbildung zum Thema sexuellen Missbrauchs als nachgewiesen. (4) Von den in den Absätzen 2 und 3 genannten Anforderungen kann für die Dauer der Laufzeit der zwi schen der nach Landesrecht zuständigen Behörde und der Traumaambulanz abgeschlossenen Vereinbarung abgewichen werden, wenn die Versorgung mit einer ausreichenden Anzahl an Traumaambulanzen anderen falls nicht sichergestellt werden kann. Die Versorgung mit Traumaambulanzen ist dann nicht ausreichend, wenn die Anzahl der Traumaambulanzen so gering ist, 1817 dass Leistungsberechtigte eine Traumaambulanz nicht nach einer zumutbaren Fahrzeit im Sinne des § 7 Ab satz 2 erreichen können. §5 Behandlung durch Personen in Weiterbildung oder in Ausbildung (1) Ärzte und Ärztinnen dürfen Leistungsberechtigte behandeln, wenn sich diese Ärzte und Ärztinnen in fort geschrittener Weiterbildung befinden 1. zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder zur Fachärztin für Psychiatrie und Psycho therapie, 2. zum Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder zur Fachärztin für Psycho somatische Medizin und Psychotherapie, 3. zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder zur Fachärztin für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder 4. zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin oder zur Fachärztin für Psychotherapeutische Medi zin. Kinder und Jugendliche dürfen nur durch die in Satz 1 Nummer 3 genannten Personen behandelt wer den. Erwachsene dürfen nur durch die in Satz 1 Num mer 1, 2 und 4 genannten Personen behandelt werden. Die Weiterbildung gilt ab zwei Dritteln der Weiter bildungszeit als fortgeschritten. (2) Psychotherapeuten in einer Weiterbildung im Sinne des § 95c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buch stabe a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und Psychotherapeutinnen in einer solchen Weiterbildung dürfen nur Erwachsene behandeln. Psychotherapeuten in einer Weiterbildung im Sinne des § 95c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und Psychotherapeutinnen in einer solchen Weiterbildung dürfen nur Kinder und Jugend liche behandeln. Die in den Sätzen 1 und 2 genannten Personen müssen sich in fortgeschrittener Weiterbil dung befinden. Die Weiterbildung gilt ab zwei Dritteln der Weiterbildungszeit als fortgeschritten. (3) Psychologische Psychotherapeuten und Psy chologische Psychotherapeutinnen in Ausbildung dürfen erwachsene Leistungsberechtigte behandeln, wenn sie zwei Drittel ihrer Ausbildung absolviert ha ben. In jedem Fall absolviert haben müssen sie die 1 800 Stunden an praktischer Tätigkeit nach § 2 Ab satz 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3749), die durch § 85 Satz 2 Nummer 1 der Verordnung vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 448) auf gehoben worden ist, in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung. (4) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Ausbildung und Kinder- und Jugendlichenpsycho therapeutinnen in Ausbildung dürfen leistungsberech tigte Kinder und Jugendliche behandeln, wenn sie zwei Drittel ihrer Ausbildung absolviert haben. In jedem Fall absolviert haben müssen sie die 1 800 Stunden an praktischer Tätigkeit nach § 2 Absatz 2 der Aus bildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3761), die durch § 85 Satz 2 Nummer 2 1818 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 der Verordnung vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 448) auf gehoben worden ist, in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung. (5) Die in den Absätzen 1 bis 4 genannten Personen dürfen keine komplexen Fälle behandeln. Ein Fall ist komplex, wenn die Kenntnisse der in den Absät zen 1 bis 4 genannten Personen nicht für eine sachge rechte Behandlung ausreichen. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Behandlung. Ob ein Fall komplex ist, entscheidet die Person, die von den in § 3 Absatz 1 und § 4 Absatz 1 genannten Personen über die längste Berufserfahrung verfügt. §6 Leistungserbringung durch externe Personen (1) Die Traumaambulanz kann sich in begründeten Ausnahmefällen bei der Leistungserbringung externer Personen bedienen. Für deren Einsatz gelten die An forderungen nach den §§ 3 bis 5. (2) Ein begründeter Ausnahmefall liegt vor, wenn die Traumaambulanz nicht über ausreichend eigene Kapa zitäten verfügt, um den Anspruch Leistungsberechtig ter in quantitativer oder qualitativer Hinsicht zu erfüllen. Kann der Anspruch durch eine andere Traumaambu lanz, die nach einer zumutbaren Fahrzeit vom Wohnort des oder der Leistungsberechtigten erreichbar ist, ab gedeckt werden, so ist der Verweis auf diese Trauma ambulanz vorrangig gegenüber dem Einsatz externer Personen. Die Beauftragung externer Personen erfolgt in Abstimmung mit der nach Landesrecht zuständigen Behörde. (3) Erbringen externe Personen Leistungen der Traumaambulanz, gelten für sie die Vorgaben zur Schweigepflicht nach § 9 Absatz 1 und 2 entspre chend. Die Traumaambulanz hat die externen Perso nen darauf hinzuweisen. §7 Anzahl an Traumaambulanzen (1) Vereinbarungen über die Erbringung von Leis tungen der Traumaambulanz für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche sind von den nach Landes recht zuständigen Behörden mit einer ausreichenden Zahl von Einrichtungen zu schließen. §8 Erreichbarkeit (1) Die Traumaambulanz bietet Sitzungstermine zu den allgemeinen Geschäftszeiten an. (2) Die Traumaambulanz muss über eine Webseite verfügen, die Informationen zur Erreichbarkeit der Traumaambulanz enthält. Die Informationen sind auch in barrierefreier Form verfasst. Zur besseren Auffind barkeit soll sich die Traumaambulanz in Datenbanken oder auf Portalen registrieren, auf denen Betroffene Hilfe suchen. Hierzu zählen die Online-Datenbank für Betroffene von Straftaten und das Hilfeportal Sexueller Missbrauch. (3) Die Traumaambulanz muss zu jeder Zeit tele fonisch erreichbar sein. Außerhalb der allgemeinen Geschäftszeiten genügt die Erreichbarkeit eines Anruf beantworters, wenn sichergestellt ist, dass die anru fende Person auf ihren Wunsch am nächsten Werktag zurückgerufen wird. Der Mitarbeiter oder die Mitarbei terin, der oder die die Anrufe entgegennimmt, soll über Kenntnisse zum traumasensiblen Umgang mit den An rufenden verfügen. (4) Die Traumaambulanz hat sicherzustellen, dass Leistungsberechtigte auf Wunsch spätestens fünf Werktage nach ihrer Kontaktaufnahme einen Termin zur Erbringung von Leistungen der Traumaambulanz erhalten. Ist der Traumaambulanz eine Erbringung von Leistungen innerhalb dieser Frist im Einzelfall nicht möglich, verlängert sich diese auf bis zu zehn Werk tage. §9 Schweigepflicht (1) Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Trauma ambulanz unterliegen der Schweigepflicht. Sie müssen die Leistungsberechtigten und die Sorgeberechtigten minderjähriger Leistungsberechtigter über die Schwei gepflicht und die vertrauliche Behandlung des Inhalts der Sitzungen in der Traumaambulanz informieren. (2) Mit Einverständnis der Leistungsberechtigten übermitteln die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Traumaambulanz zum Zwecke der Sachverhaltsaufklä rung Informationen zum schädigenden Ereignis an die nach Landesrecht für das Soziale Entschädigungsrecht zuständige Behörde. Kann der Leistungsberechtigte nicht selbst in die Übermittlung einwilligen, ist das Ein verständnis eines hierzu Berechtigten einzuholen. (2) Die Anzahl ist ausreichend, wenn eine Trauma ambulanz nach einer zumutbaren Fahrzeit erreicht wer den kann. In der Regel ist eine Fahrzeit mit einem Kraftfahrzeug oder öffentlichen Verkehrsmitteln von einer Stunde vom Wohnort des oder der Leistungs berechtigten bis zur Traumaambulanz zumutbar. Die Zumutbarkeit ist unabhängig von Satz 2 gegeben, wenn die Leistungen der Traumaambulanz am jeweili gen Wohnort des oder der Leistungsberechtigten er bracht werden. Die Traumaambulanz stellt sicher, dass die gelten den Dokumentationspflichten über die einzelnen Sit zungen eingehalten werden. (3) Abweichend von Absatz 2 ist die Anzahl der Traumaambulanzen auch dann ausreichend, wenn die Traumaambulanz nach einer Fahrzeit von einer Stunde und 30 Minuten erreicht werden kann, wenn anderen falls die Versorgung mit Traumaambulanzen nicht sichergestellt werden kann. Die Traumaambulanzen sollen sich mit örtlich an sässigen Organisationen und Leistungserbringern vernetzen, die Hilfs- und Unterstützungsangebote für Leistungsberechtigte nach dem Vierzehnten Buch Sozialgesetzbuch bereitstellen. Die Bildung von Quali tätszirkeln ist möglich. § 10 Dokumentationspflichten der Traumaambulanz § 11 Vernetzung Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 § 12 Abrechnungsverfahren, Vergütung (1) Die Abrechnung erfolgt unmittelbar zwischen Traumaambulanz und der nach Landesrecht zuständi gen Behörde. Für die Abrechnung sind folgende Daten erforderlich: 1. die Anzahl der durchgeführten Sitzungen, 2. der Satz pro durchgeführter Sitzung, 3. gegebenenfalls weitere Aufwendungen der Trauma ambulanz, 4. der Name, der Vorname, das Geburtsdatum sowie die Anschrift der Leistungsberechtigten, bei minder jährigen Leistungsberechtigten auch der Name, der Vorname und die Anschrift der Sorgeberechtigten und 5. der Ort und die Zeit des schädigenden Ereignisses. Satz pro durchgeführter Sitzung, weitere vereinbarte Aufwendungen zuzüglich einer Pauschale für Doku mentationsleistungen sowie für die Unterstützung bei der Antragstellung ab. (3) Für den im Zusammenhang mit der Vernetzung entstehenden Aufwand erhalten die Traumaambu lanzen pro Fall eine Pauschale in Höhe des für zwei Sitzungen zu zahlenden Betrages, wenn in der Verein barung keine andere Regelung zur Vergütung der Ver netzungsarbeit getroffen wurde. § 13 Übergangsregelung Für Vereinbarungen, die vor dem 1. Januar 2024 mit Traumaambulanzen geschlossen werden, ist diese Verordnung nicht anzuwenden. Die Daten werden auf elektronischem Weg übermittelt, sofern in der Vereinbarung keine anderweitige Rege lung zur Datenübermittlung getroffen wurde. (2) Die Traumaambulanz rechnet mit der nach Lan desrecht zuständigen Behörde den vereinbarten 1819 § 14 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2024 in Kraft. Der Bundesrat hat zugestimmt. Berlin, den 20. Oktober 2022 Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil 1820 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 Anlage 1 (zu § 3 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2) Curriculum ,,Psychotherapie der Traumafolgestörungen" 1. Auflage Berlin, 12. Februar 2016 Herausgeber: Bundesärztekammer Die in diesem Werk verwandten Personen- und Berufsbezeichnungen sind, auch wenn sie nur in einer Form auftreten, gleich wertig auf beide Geschlechter bezogen. Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkungen 2. Ziel, Aufbau und Durchführung 3. Dauer und Gliederung 4. Inhalte und Stundenverteilung 1. Vorbemerkungen Belastende Lebensereignisse sind Bestandteil des menschlichen Daseins. Das Erleben von Traumata wie Unfälle, Gewalt, Missbrauch, Naturkatastrophen, Kriegseinsätze oder Flucht können zu großem psychischem Leiden füh ren und in Traumafolgestörungen münden. Um Patienten mit Traumafolgestörungen angemessen zu versorgen, bedarf es umfassender gesicherter Kennt nisse in Psychotraumatologie und in Psychotherapie von Traumafolgestörungen. Zur psychotherapeutischen Kompetenz gehören u. a. die Realisierung einer adäquaten therapeutischen Haltung, die professionelle Gestaltung einer therapeutischen Arbeitsbeziehung, die Durchdringung der Komplexität der Traumafolgen eines Patienten, die Berücksichtigung seines Umfeldes und seiner Ressourcen sowie die fach kundige Anwendung einer Behandlungsmethode. Das vorliegende Curriculum bietet eine an aktuellen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Posttrauma tischen Belastungsstörungen und anderen Traumafolgestörungen orientierte Fortbildung für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten an, die es erlaubt, vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen systematisch aufzufrischen und weiter zu vertiefen. Die herausgebenden Kammern ­ die Bundesärztekammer und die Bundespsychotherapeutenkammer ­ wollen hierdurch zur weiteren Verbreitung und Implementierung evidenzbasierter Behandlungen von Traumafolgestörun gen beitragen. Das Curriculum soll zugleich für die in der vertragsärztlichen Versorgung psychotherapeutisch tätigen Fachärzte, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einen Rahmen bieten, die gemäß Psychotherapie-Vereinbarung geforderte Qualifikation zur Durchführung von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) im Rahmen einer Behandlung mit einem Richtlinienverfahren sowie die Struk turvoraussetzungen für die Teilnahme am Psychotherapeutenverfahren der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfall versicherung) zu erfüllen. Das vorliegende Curriculum ist in Zusammenarbeit mit folgenden Experten erarbeitet worden: ­ Frau Dr. med. Ulla Baurhenn, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Allgemeinmedizin, wissenschaftliche Leitung des Curriculums Psychotraumatologie der ÄK Bremen, Leitung des Bremer Institutes für Psychotraumatologie ­ Herr Timo Harfst, Wissenschaftlicher Referent der BPtK, Psychologischer Psychotherapeut ­ Frau Dr. med. Susanne Hepe, Leiterin der Akademie für Fortbildung der ÄK Bremen ­ Frau Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Psychologische Psychotherapeutin, Klinische Psychologie und Psycho therapie Freie Universität Berlin ­ Herr Prof. Dr. med. Johannes Kruse, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psycho analyse, Universitätsklinikum Gießen, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Marburg, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Vorsitzender der DGPM ­ Frau Andrea Mrazek, M. A., M. S. (USA), Psychologische Psychotherapeutin, Kinder- und Jugendlichenpsycho therapeutin, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer ­ Herr Dr. Dietrich Munz, Psychologischer Psychotherapeut, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer ­ Herr Priv.-Doz. Dr. med. Ingo Schäfer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vorsitzender der DeGPT ­ Frau Dipl.-Psych. Rahel Schüepp, Psychologische Psychotherapeutin, Leitung des Bremer Institutes für Psychotraumatologie, wissenschaftliche Leiterin des Curriculums Psychotraumatologie der ÄK Bremen Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1821 ­ Frau Prof. Dr. med. Luise Reddemann, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalytikerin, Begründerin von PITT (Psychodynamisch Imaginative Trauma Therapie) ­ Herr Dr. Bruno Waldvogel, Psychologischer Psychotherapeut, Sprecher der Kommission Zusatzqualifizierung der Bundespsychotherapeutenkammer, Vizepräsident der PtK Bayern ­ Herr Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Wöller, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalyse, Rhein Klinik Bad Honnef ­ Frau Dr. med. Justina Rozeboom, Leiterin des Dezernats 1 ­ Fortbildung, Prävention und Bevölkerungsmedizin der Bundesärztekammer ­ Frau Karin Brösicke Referentin Dezernats 1 ­ Fortbildung, Prävention und Bevölkerungsmedizin der Bundes ärztekammer 2. Ziel, Aufbau und Durchführung Das Fortbildungscurriculum ,,Psychotherapie der Traumafolgestörungen" ist gemeinsam von Vertretern der Fach ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie mit Vertretern der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erar beitet worden und richtet sich an alle ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten, die Interesse haben, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten in der Therapie von Traumafolgestörungen zu vertiefen und zu erweitern. Voraussetzungen für eine Teilnahme sind: ­ Ärzte: ­ Berechtigung zum Führen der Gebietsbezeichnung ­ Psychotherapeutische Medizin ­ Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ­ Psychiatrie und Psychotherapie ­ Neurologie und Psychiatrie ­ Psychiatrie ­ oder der Zusatzbezeichnung ,,Psychotherapie" oder ,,Psychoanalyse" ­ Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, ­ approbierte Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Theoriekenntnisse in Psychotraumatologie, insbesondere zu theoretischen Grundlagen, zur Diagnostik und Diffe rentialdiagnostik von Traumafolgestörungen sowie zu Techniken der Ressourcenaktivierung und zur Förderung der Affektregulation, werden aufgrund der absolvierten Weiterbildung bzw. Ausbildung vorausgesetzt. Diese Kenntnisse können bei Bedarf im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen aufgefrischt werden (z. B. durch Teil nahme am 40 h Fortbildungscurriculum ,,Psychotraumatologie" der BÄK). Es sollen mindestens zwei Behandlungsmethoden mit wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit unterrichtet werden, eine ausführlich, die andere im Überblick. Nach der positiven Bewertung der EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) im Unterausschuss Methodenbewertung hat der G-BA mit Wirkung zum 3. Januar 2015 beschlossen, diese als Methode der Einzel therapie bei Erwachsenen bei der Indikation posttraumatische Belastungsstörungen in die Psychotherapie-Richt linie aufzunehmen, die im Rahmen einer Behandlung mit einem Richtlinienverfahren durchgeführt werden kann. Die Durchführung der EMDR-Behandlung im Rahmen einer Einzelpsychotherapie mit einem Richtlinienverfahren ist laut Psychotherapievereinbarung an eine Zusatzqualifikation gebunden. Wenn eine der zwei gemäß Curriculum zu vermittelnden Methoden EMDR ist, wird empfohlen, die Umsetzung des Curriculums in den Modulen II, III und VI so auszugestalten, dass mindestens die in der Psychotherapievereinbarung definierten Qualifikationsan forderungen zur EMDR erfüllt werden. Ein Teil der in der Psychotherapievereinbarung geforderten theoretischen Kenntnisse kann mit dem Absolvieren des Curriculums Psychotraumatologie der Bundesärztekammer bzw. in der Aus-, Weiter- oder Fortbildung erworben werden. Das Curriculum kann als Blended-Learning-Maßnahme durchgeführt werden. Der maximale eLearning-Anteil soll 25 Prozent nicht überschreiten. Das Curriculum muss im Vorfeld von der zuständigen Landesärztekammer/Landespsychotherapeutenkammer geprüft und anerkannt sein. Zuständig ist die Landesärztekammer/Landespsychotherapeutenkammer, in deren Bereich das Fortbildungscurriculum stattfindet. Über die Teilnahme wird eine Bescheinigung ausgestellt. Die Bescheinigung nennt u. a. die Behandlungsmetho den, die im Rahmen des Curriculums vermittelt wurden, und den Umfang der darin durchgeführten Behandlungen und Supervisionen. 1822 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 3. Dauer und Gliederung Curriculum Psychotraumatherapie 100 h Modul I Behandlung akuter Traumafolgestörungen und Krisenintervention 10 h Modul II Behandlung der non-komplexen PTBS 35 h Modul III Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen 30 h Modul IV Interkulturelle Kompetenzen, Asyl- und Flüchtlingsthematik Modul V Selbsterfahrung und Psychohygiene Modul VI Supervision von eigenen Behandlungsfällen (mindestens 40 h Behandlung) 5h 10 h mindestens 10 h Kollegiales Abschlussgespräch h = UE = 45 Minuten. Die Stundenanzahlen sind als Mindestanforderungen zu betrachten. 4. Inhalte und Stundenverteilung Modul I ­ Behandlung akuter Traumafolgestörungen und Krisenintervention 10 h ­ Phasenverlauf und Symptomatik in der Folge akuter Traumatisierungen, traumaspezifische Beratung und Krisenintervention von akuten Belastungsreaktionen ­ Gesprächsführung in der akuten Situation ­ Unterstützung natürlicher Verarbeitungsprozesse, Einbeziehung von Angehörigen und des psycho sozialen Umfelds ­ Umgang mit akuten Symptomen wie z. B. Dissoziation, Angstreaktionen, Suizidalität, Substanzmiss brauch ­ Kooperation mit Diensten am Einsatzort, Kriseninterventionsteam und Opferhilfe-Organisationen ­ Besonderheiten von Großschadenslagen ­ Besonderheiten von Arbeitsunfällen ­ Evidenzbasierung von Debriefing Maßnahmen ­ Einsatz von konfrontativen Behandlungstechniken in den ersten vier Wochen nach akuter Traumatisie rung (Evidenzbasis, Darstellung der Vorgehensweisen, Information zum Stand der Wirksamkeit ver schiedener Verfahren) ­ Risikoscreening Modul II ­ Behandlung der non-komplexen PTBS 35 h Vermittelt werden sollen zwei Behandlungsmethoden mit wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit entsprechend den Empfehlungen der S3-Leitlinie in ihrer jeweils aktuellen Fassung. In Praxis ­ praktische Übungen ­ Beherrschen des Behandlungsprotokolls mit ergänzender Theorie ­ Krankheitsmodelle ­ Indikation ­ Kontraindikation ­ Differentialindikation Der praktische Anteil soll den Schwerpunkt bilden und deutlich überwiegen. Eine Methode soll ausführlich (mindestens 20 h), eine weitere im Überblick unterrichtet werden. Modul III ­ Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen Derzeit werden heterogene Konzepte und Beschreibungen verwandt um komplexe Folgesymptome von Traumatisierungen, insbesondere in der Kindheit oder unter extremen Bedingungen zu bezeichnen. Zusätz lich zu den Anforderungen an die Behandlung von Patienten mit non-komplexer PTBS sind folgende Be handlungsnotwendigkeiten zu berücksichtigen: Komorbide Symptomatik (z. B. Suchterkrankung, Angststörung, andere psychische Erkrankungen und sekundärpsychotische Phänomene) ­ Therapieplanung bei Komorbidität (Spezielle Bedingungen der Indikationsstellung konfrontativer Ver fahren und Kontraindikationen, Hierarchisierung von Therapiezielen, Pharmakotherapie) 30 h Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1823 ­ Störungsspezifische Ansätze bezogen auf die komorbide Problematik (Guidelines der International Society for Traumatic Stress Studies, ISTSS) komorbide persönlichkeitsprägende Symptomatik ­ Förderung der Beziehungsfähigkeit und der Fähigkeit zur interpersonellen Kompetenz, Autonomie und Nähe-Distanz-Regulation ­ Aufbau selbstfürsorglicher Verhaltensweisen, Förderung von Alltagsressourcen ­ Vermittlung von Strategien zum Umgang mit Krisensituationen ­ Bearbeitung traumaassoziierter Emotionen und dysfunktionaler Kognitionen (z. B. Scham, Schuldge fühle, Ekel, Ablehnung der eigenen Person) komorbide Dissoziative Störung zusätzlich: ­ Entwicklung von Fähigkeiten zur Distanzierung und Reorientierung ­ Förderung von Wahrnehmung, Verstehbarkeit und Steuerungsfähigkeit zuvor dissoziierter Bereiche des Erlebens körperliche Symptomatik ­ Differentialdiagnostik Schmerzstörungen traumaassoziierter somatoformer Störungen, insbesondere somatoformer ­ Klärung der Interaktion der Traumafolgestörung mit chronischen somatischen Erkrankungen Den Therapiemethoden für die Behandlung von Patienten mit komplexen, z. B. durch stärkere dissoziative Symptomatik geprägten Traumafolgestörungen ist gemeinsam, eine angemessene Verzahnung von stabi lisierenden Schritten und Traumabearbeitungen, die eine äussere und innere Bewältigung des Erlebten ermöglichen. Die Vermittlung von Therapiestrategien soll methodenübergreifend und integrativ erfolgen. Vermittelt werden sollen zwei Behandlungsmethoden mit wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit. Eine Methode soll ausführlich (mindestens 20 h), eine weitere im Überblick unterrichtet werden. Techniken zur Ressourcenaktivierung und Affektregulation sollen besonders berücksichtigt werden. Modul IV ­ Interkulturelle Kompetenzen, Asyl- und Flüchtlingsthematik Besonderheiten klinischer Symptomatik (kulturspezifischer Krankheitsausdruck, genderspezifische inter kulturelle Aspekte) Krankheitskonzepte/Therapieerwartungen 5h ­ Diagnostik, Istanbul Protokoll (u. a. Dokumentation von Folterspuren) ­ sequentielle Traumatisierung (Postmigrationsstressoren, komplexe PTBS) ­ rechtlicher Status ­ Einbindung in multiprofessionelles Netzwerk (Kooperation mit anderen Einrichtungen: Behandlungs zentren, Sozialarbeiter, Integrationskurse, Rechtsanwälten etc.) ­ Dolmetscher gestützte Therapie (Regeln, Professionalisierung des Dolmetschers, Abrechnungspro zedere beim Sozialamt) Modul V ­ Selbsterfahrung und Psychohygiene Themenzentrierte Selbsterfahrung bei von den Kammern anerkannten Supervisoren zu den Themen: 10 h ­ Selbstdiagnose von sekundärer Traumatisierung und Burnout ­ Verfahren zum Selbstschutz für Behandler ­ Besonderheiten in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung Modul VI ­ Supervision von eigenen Behandlungsfällen Regelmäßige Supervision eigener Behandlungsfälle (nach Möglichkeit videodokumentiert) durch von den Kammern anerkannte Supervisoren (u. a. Indikationsstellung und Behandlungsplanung) im Einzelsetting oder in Gruppen (maximal 6 Teilnehmer). Es sollen psychotherapeutische Behandlungen bei mindestens sechs verschiedenen Patienten mit ins gesamt mindestens 40 Behandlungsstunden unter kontinuierlicher Supervision (mindestens 10 Stunden) durchgeführt und dokumentiert werden. Dabei sollen möglichst unterschiedliche Störungsbilder (Vollbild PTBS, komplexe Traumatisierung u. a. nach Kindheitstrauma ­ wenn möglich auch Akuttraumatisierung) Gegenstand der psychotherapeutischen Behandlung sein. Von den sechs Behandlungsfällen sollen vier eine volle Diagnostik (einschließlich mindestens drei traumaspezifische Testverfahren) beinhalten. Die Supervision der Behandlungsfälle erfolgt im Verhältnis 1:4. Supervisoren werden bei Bedarf vom Kursveranstalter vermittelt. 10 h 1824 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 Anlage 2 (zu § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2) Empfehlung des Vorstandes für den Erwerb einer Zusatzqualifikation ,,Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)" (Überarbeitete Fassung 2020) Präambel Spezialisierte psychotraumatologische Kenntnisse sind Grundlage für die qualifizierte Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen. Da entsprechende Unterrichtsinhalte in den grundständigen Weiterund Ausbildungscurricula von Kinder- und JugendpsychotherapeutInnen, Psychologischen und Ärztlichen PsychotherapeutInnen nicht in ausreichendem Umfang integriert sind, empfiehlt die DeGPT folgende Standards für eine Qualifikation in ,,Spezieller Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)". Das von der DeGPT erarbeitete Curriculum trägt der Forderung anerkannte Behandlungsverfahren bzw. Behand lungsmethoden zu lehren Rechnung und wird regelmäßig nach dem aktuellen Stand der Forschung aktualisiert. In der vorliegenden Curriculumsüberarbeitung wurden sowohl die Behandlungsempfehlungen der S3 Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) als auch die Ergebnisse einer Umfrage bei den von der DeGPT anerkannten Weiterbildungsinstituten und den AbsolventInnen der DeGPT-Curricula einbezogen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigten einen erhöhten Bedarf an Weiterbildung für die Themenbereiche akute Traumafolgestörun gen und der transkulturellen Kompetenz auf. Diesem Bedarf wurde in Vertiefungsmodulen von jeweils 16 Stunden Rechnung getragen. Zudem wurde das Vertiefungsmodul ,,Kinderschutz" hinzugefügt. Das aktuelle DeGPT-Cur riculum sieht für die Erlangung der Zertifizierung ,,Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)" die Absolvierung des Basiscurriculums im Ausmaß von 140 Stunden sowie verpflichtend mindestens eines der drei genannten Module (Vertiefungsmodul ,,Behandlung akuter Traumafolgestörungen", ,,Transkulturelle Kompetenz" oder ,,Kinderschutz") im Umfang von je 16 Stunden vor. Voraussetzungen Deutschland: ­ Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in ­ Approbation/Anerkennung als ärztliche/r oder psychologische/r Psychotherapeut/in ­ Facharzt/-ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ­ Approbation als Arzt/Ärztin und Facharztqualifikation für Psychiatrie und Psychotherapie oder Psychothera peutische Medizin/Psychosomatische Medizin* Schweiz: ­ Anerkennung als Fachpsychologe/in für Psychotherapie FSP/BAG ­ Psychotherapeut/in mit kantonaler Praxisbewilligung ­ Facharzt/-ärztin/ FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ­ Anerkennung als Facharzt/-ärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie* Österreich: ­ Facharzt/-ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ­ Facharzt/-ärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin* ­ Arzt/Ärztin mit dem Diplom ,,Psychotherapeutische Medizin der Österreichischen Ärztekammer" ­ Eintrag in die Liste der ,,PsychotherapeutInnen" des zuständigen Ministeriums ­ Eintrag in die Liste der ,,Klinischen PsychologInnen" des zuständigen Ministeriums ­ Klinische PsychologInnen mit einer im Österreichischen Psychologengesetz 2013 geforderten Stundenanzahl an Selbsterfahrung können das Zertifikat ,,Spezielle Psychotraumabehandlung mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)" erwerben. * Im Sinne der Adoleszenzpsychiatrie und Transition ist eine Zulassung der mit * gekennzeichneten Abschlüsse begründet. Zu beachten ist, dass die Weiterbildung in ,,Spezieller Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)" alleine jedoch nicht zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen ermächtigt. Die Voraussetzung hierfür sind die berufsrechtlichen Vorgaben in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Qualifikation in ,,Spezieller Psychotraumatherapie bei Kindern und Jugendlichen" (DeGPT) A Curriculare Inhalte/Module 1. Theoretische Grundlagen ­ Geschichte der Psychotraumatologie ­ Definitionen (traumatischer Stress, Trauma Typ I, II, ACE, sequentielle Traumatisierung, etc.) Stud. (UE) 4 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1825 ­ Häufigkeit der traumatischen Lebenserfahrungen im Kindes- und Jugendalter und Häufigkeit von Traumafolgeerkrankungen und komorbiden Störungsbildern ­ Besondere Aspekte des Traumagedächtnisses in den verschiedenen Lebensaltern ­ Überblick über den aktuellen Stand der Traumatherapieforschung bei Kindern- und Jugend lichen ­ Entwicklungspsychologische/-psychopathologische Aspekte bei der Entwicklung von Trau mafolgestörungen ­ Auswirkungen von Traumatisierung auf die Familie und soziale Bezugssysteme ­ Gesellschaftliche Auswirkungen von Traumatisierungen (gesellschaftliche Folgekosten, so ziale Teilhabe) ­ Gewalt in Familie und Gesellschaft, Genderaspekte ­ Rechtliche Grundlagen Gewaltschutzgesetze (Kinderschutz, Jugendhilfe, Grenzen der Schweigepflicht, Opferentschädigungsgesetz, Zivilrecht, Strafrecht, etc.) ­ Möglichkeiten kontinuierlicher Fortbildung und Supervision/Intervision (S3-Leitlinie, weitere Leitlinien, Fachgesellschaften) 2. Ätiologische Modelle und neurobiologische Grundlagen 4 ­ Überblick über ätiologische Modelle zur Entstehung von Traumafolgestörungen ­ Kenntnisse über Schutz- und Risikofaktoren für die Entwicklung von Traumafolgestörungen bei unterschiedlichen Arten der Traumatisierung mit besonderer Perspektive auf das Kindesund Jugendalter ­ Neurobiologische Grundlagen (HPA-Achse, Hippocampus, Amygdala) und Neuroimmunolo gie ­ Körperliche Traumafolgestörungen, Auswirkungen von Traumatisierung in der Kindheit auf die körperliche Gesundheit (Wirkmechanismen, Langzeitfolgen) 3. Grundlagen der Diagnostik und Differentialdiagnostik 8 ­ Diagnostische Einordung im ICD-11 und DSM-5 ­ Diagnosekriterien für Kinder unter 6 Jahren. Besondere Aspekte der Diagnostik bei Kleinkin dern bei frühkindlicher Traumatisierung (vorsprachliches Alter) ­ Überblick über verschiedene aktuelle psychometrische Testverfahren zur Erfassung von Traumafolgestörungen und einzelner Symptome (Anwendung und Interpretation in Theorie und Praxis) ­ Entwicklungspsychologie zum Nutzen von Selbstbeurteilungen/Auswirkungen von Traumati sierung und Vernachlässigung auf die Entwicklung der Selbstwahrnehmung ­ Mythos der Retraumatisierung durch diagnostische Interviews ­ Einbezug von Bezugspersonen in die Diagnostik ­ Diagnostische Methoden/Verfahren zur Beurteilung des Misshandlungs- und Vernachlässi gungsrisikos (inkl. Häusliche Gewalt) 4. Einbezug des Herkunftssystems in die Traumatherapieplanung Die AusbildungsteilnehmerInnen sollen lernen, welche systemischen Folgen sich durch kindli che, elterliche und transgenerationale Traumatisierung ergeben können. Außerdem sollen Grundlagen für den Einbezug der Eltern in die Traumatherapie und die Elternberatung vermittelt werden. Insbesondere sollte auf folgende Aspekte eingegangen werden: ­ Aspekte transgenerationaler Traumatisierung ­ Systemische Aspekte des Umgangs mit Trauma in der Familie ­ Auswirkungen von elterlicher Traumatisierung auf das Erziehungsverhalten ­ Umgang mit häufigen pädagogischen Problemen in Folge von traumatischen Erfahrungen der Kinder (Trennungsangst, Schlafstörungen, Regression, Impulsivität, (Auto-)Aggression, emo tionale Instabilität, Dissoziation, etc.) ­ Aufgaben der Eltern, Pflegeeltern und sozialpädagogischen Fachkräfte bei der Begleitung eines Kindes während einer Traumatherapie ­ Umgang mit vernachlässigenden und misshandelnden Elternteilen in der Therapie 4 1826 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 5. Beziehungsgestaltung, Affektregulation und Ressourcenaktivierung 16 In diesen Lerneinheiten sollen Fachwissen und dem Entwicklungsstand des Kindes entspre chende therapeutische Techniken vermittelt werden, die es erlauben eine tragfähige therapeu tische Beziehung aufzubauen und den PatientInnen helfen sich zu stabilisieren, indem sie ihre Emotionen besser erkennen und regulieren und ihre Ressourcen aktivieren können. Beziehungsgestaltung, insbesondere bei interpersoneller Traumatisierung ­ Berücksichtigung des hohen Stresslevels der Kinder und Jugendlichen bei der Beziehungs aufnahme ­ Folgen von interpersoneller Traumatisierung auf die Bindungssicherheit (Bindungstheorie) und die soziale Informationsverarbeitung ­ Einfluss auf das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle bei der Gestaltung der therapeu tischen Beziehung ­ Techniken zur Reflexion der emotionalen Reaktion und der ausgelösten Handlungsimpulse bei den behandelnden TherapeutInnen Techniken zur Förderung der Affektregulation und Ressourcenaktivierung Förderung von Affektregulation, Selbst- und Beziehungsmanagement und sozialen Kompeten zen sowie von intra- und interpersonellen Ressourcen. Techniken zur Re-Orientierung und Unterbrechung intrusiver Symptome durch Distanzierung. 1. Kognitive Techniken (z. B. Explorieren und Verändern dysfunktionaler Kognitionen, Bear beiten von Kognitionen und Emotionen zu Schuld, Scham und anderer traumaassoziierter kognitiv-emotionaler Schemata) 2. Imaginative Techniken zur Distanzierung und Ressourcenaktivierung (z. B. Imaginations übungen, Screentechniken) 3. Gezielte Förderung der Fähigkeit zur Affektmodulation (Wahrnehmung, Interpretationen Regulation) und Affektkontrolle (z. B. achtsamkeitsbasierte und körperbasierte Übungen, Psychoedukation) 4. Symptommanagement bei Selbstverletzungen und anderen selbstschädigenden Handlun gen (Skillstraining). Erstellen von Notfallplänen (,,Notfallkoffer") und Ressourcenlisten 5. Aktivierung von Ressourcen, welche mit der Bewältigung von belastenden Ereignissen und Situationen einhergehen Aus allen fünf Bereichen sollen Techniken ausführlich dargestellt, praktisch eingeübt und ihr differenzieller Einsatz diskutiert werden (Entwicklungsalter, Indikation, Rahmenbedingungen) 6. Transkulturelle Kompetenzen 4 Besonderheiten klinischer Symptomatik (kulturspezifischer Krankheitsausdruck, genderspezifi sche transkulturelle Aspekte) Krankheitskonzepte/Therapieerwartungen. Ein Überblick soll gegeben werden zu: ­ Entwicklungspsychologische und systemische Aspekte von Migration (Parentifizierung, divergierende Erziehungsvorstellungen, Integrationsprobleme von traumatisierten Familien) ­ Multilinguale Diagnostik (Instrumente, DolmetscherInnen) ­ Postmigrationsstressoren, Prämigrationserfahrungen ­ Überblick über Begrifflichkeiten von Kultur, Migration (Migrationsprozess), erzwungene Migration ­ Überblick über transkulturelle Kompetenzen (Akkulturation und Identität) ­ Überblick über Besonderheiten im Therapieverlauf (z. B. Psychoedukation, kultursensitive Behandlungsansätze) ­ Rechtlicher Status (Juristische Grundlagen, Auswirkungen auf Behandlung) ­ Dolmetscher gestützte Therapie (Regeln, Professionalisierung des Dolmetschers, länder spezifische Abrechnungsmöglichkeiten) 7. Überblick über die Möglichkeiten der Krisenintervention und die Behandlung akuter Traumafolgen ­ Überblick über die nosologischen Konzepte und Diagnostik akuter Traumafolgen in ICD-11 (akute Belastungsreaktion) und DSM-5 (akute Belastungsstörung) ­ Vorstellung der AWMF-S2-Leitlinie ,,Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psy chischer Traumatisierung" 8 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1827 ­ Akute Traumatisierung: Phasenverlauf und Symptomatik, Begriffsklärungen und Vorstellung der Konzepte der ,,psych(olog)ischen Erste Hilfe" (PEH) und ,,Psychosozialen Notfallversor gung" (PSNV) in präklinischen Kontexten, z. B. Kriseninterventionsteams, psychologische Akutbetreuung, Notfallseelsorge ­ Grundlagen der Gesprächsführung mit akut belasteten Betroffenen mit dem Fokus Unterstüt zung natürlicher Verarbeitungsprozesse, Identifikation und Aktivierung von Ressourcen ­ Traumaspezifische Beratung und Einbeziehung von Angehörigen bei akuten Belastungsreak tionen/-störungen ­ Unterstützung natürlicher Verarbeitungs- und Integrationsprozesse, Kenntnisse über präund posttraumatische Schutz- und Risikofaktoren, Identifikation und Aktivierung von Res sourcen. Spezifische Anforderungen bei Kriseninterventionen vor Ort (aufsuchende Hilfe), Interventionen und Unterstützungsmaßnahmen in speziellen Betreuungskontexten, z. B. Schule, Sportveranstaltungen, Freizeitaktivitäten mit Anforderungen an Einzel- und Gruppen interventionen. Umgang mit akuten Risikokonstellationen, z. B. Dissoziation, Suizidalität ­ Screening bzw. prognostische Einschätzung für die Entwicklung von Traumafolgestörungen nach akuter Traumatisierung mit Berücksichtigung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ­ Überblick über Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für akut von Gewalt betrof fenen Kindern und Jugendliche (Kinderschutz, klinisch forensische Ambulanzen, Schutzhäu ser, etc.) ­ Psychoedukation zu natürlichen Belastungsreaktionen 8. Traumafokussierte Behandlung der PTBS bei Kindern und Jugendlichen Vermittelt werden sollen die Kernelemente evidenzbasierter Behandlungsansätze mit trauma fokussierten Interventionen, die eine Exposition im Sinne einer kognitiven und emotionalen Aus einandersetzung mit dem traumatischen Ereignis und/oder seiner Bedeutung für die eigene Bio graphie im Sinne eines ressourcenorientierten Narratives beinhalten. Durch die Intervention kann eine kognitive Neubewertung und Restrukturierung der traumatischen Erinnerung erfolgen. Eine sehr hohe Evidenz liegt im Kindes- und Jugendalter für verschiedene Formen der kognitiven Verhaltenstherapie vor. Auch zu anderen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren wie der Narrativ Exposure Therapie für Kinder (Kidnet) und der prolongierten Exposition gibt es erfolg reiche RCT Studien. Für das für Kinder adaptierte EMDR Manual liegen im Kindes- und Jugend alter inzwischen Metaanalysen vor, die ebenfalls dessen Wirksamkeit belegen. Es sollen eine traumafokussierte Vorgehensweise detailliert in Theorie (Krankheitsmodelle, In dikation, Kontraindikation, Differentialindikation) und Praxis (praktische Übungen, Beherrschen des Behandlungsprotokolls) vermittelt werden (24 h). Ein anderes Therapieverfahren soll im Überblick mit Fokus auf Gemeinsamkeiten evidenzbasierter Therapieverfahren vorgestellt wer den und unterschiedliche Zugänge die das Erlernen der Hauptmethode unterstützend vertiefen können (8 h). Nähere Ausführungen dazu siehe unten. Die Behandlung sollte in Theorie (Krank heitsmodelle, Indikation, Kontraindikation, Differentialindikation) und Praxis (praktische Übun gen, Beherrschen des Behandlungsprotokolls) gelehrt werden. Hierbei sollte auch der Einbezug von Eltern und Betreuern konkret angeleitet, reflektiert und geübt werden. ­ Herstellung intrapsychischer, körperlicher und sozialer Sicherheit und Stabilität (Kinder schutz, biopsychosoziale Sicherheit) in möglichst allen Lebensbereichen des Kindes ­ Beachtung der Besonderheiten der Beziehungsgestaltung durch den Therapeuten ­ Vermittlung von Fähigkeiten zur Affektregulation und funktionaler Interaktion, Rekonstruktion des erschütterten Selbst- und Weltbildes, (Re-) Aktivierung von Lebensfreude und Vermitt lung von Hoffnung ­ Traumabearbeitung, Exposition (imaginative Exposition in Bezug auf die Traumaerinnerung, narrative Exposition, Exposition in vivo) ­ Reorganisation der Erinnerungen und Integration ­ Fachgerechte Berücksichtigung komorbider Störungen in einem Behandlungsplan Es müssen zwei traumafokussierte Behandlungsverfahren vorgestellt werden. Aufgrund der wis senschaftlichen Evidenz, sollte eines der Verfahren 1 ­ 3 ausführlich im Umfang von 24 UE, ein weiteres Verfahren (aus 1 ­ 6) im Umfang von 8 UE im Überblick und eines der beiden gewählten Verfahren in ihrer kinder- und jugendlichenspezifischen Anwendung vermittelt werden. 1. Trauma-fokussierte kognitiv-behaviorale Therapie (Tf-KBT) 2. Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) 3. Narrative Expositionstherapie für Kinder und Jugendliche (KIDNET) 4. Traumazentrierte spieltherapeutische Verfahren 5. Mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie bei Kindern (MPTT-KJ) 32 1828 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 6. Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie bei Kindern (PITT) Adaptationen wie etwa bei der Verwendung eines gruppentherapeutischen Settings (etwa nach Katastrophen oder Großschadenslagen), sollen ebenfalls vorgestellt werden. Über Behandlungsansätze bei traumabedingter prolongierter Trauer und Kind-Eltern-Therapie bei Kindern bis drei Jahren wird informiert. 9. Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen und komorbider Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen 32 Der aktuelle Erkenntnisstand zur komplexen PTBS im Kindes- und Jugendalter ist insbesondere im Bereich der Interventionsforschung deutlich beschränkter als im Erwachsenenalter. Für Ju gendliche spricht vieles dafür sich am Forschungsstand für Erwachsene zu orientieren und eine Kombination aus einem evidenzbasierten Traumatherapieverfahren und Fertigkeitentraining zu vermitteln. Für das Kindesalter ist die Befundlage unsicher, es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass eine erfolgreiche Expositionstherapie auch die Emotions- und Beziehungsregulation verbessert. Die Materialien und Sprache müssen dem aktuellen Entwicklungsstand angepasst werden. ­ Spezifika der Beziehungsgestaltung zu komplex traumatisierten Kindern (Vermittlung auch von spielerischen Methoden zum Aufbau einer therapeutischen Allianz) ­ Komplexe PTBS im Kindesalter ­ historische Entwicklung (von Desnos über Traumaentwick lungsstörung zur Diagnose komplexe PTBS im ICD-11). Bedeutung von Kindheitstraumata für den weiteren Entwicklungsweg ­ Psychoedukation bei komplexer PTBS in verschiedenen Entwicklungsaltern ­ Symptome einer komplexen PTBS im Bezug zu den zentralen Entwicklungsaufgaben, Ver ständnis von Komorbidität und Differentialdiagnostik (Abgrenzung von Persönlichkeitsstö rungen, Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen) ­ Erkennen und Einschätzen von körperlichen Zeichen physischer Misshandlung und Vernach lässigung ­ Risikofaktoren für Kindesmisshandlung, -missbrauch und Vernachlässigung ­ Wissen um Täterstrategien bei sexuellem Missbrauch ­ Beratung von Bezugspersonen: pädagogische Herausforderung durch komplexe PTBS ­ Spezifika der Beziehungsgestaltung in verschiedenen Entwicklungsaltern (spiel- und ge sprächstherapeutische Zugänge) ­ Spezifika der Anwendung des Haupttherapieverfahrens (KVT oder EMDR) für die Behand lungen von komplexer PTBS: ­ Vorbereitung und Rahmenbedingungen der Expositionsbehandlung ­ Auswahl des Ereignisses mit dem die Expositionstherapie begonnen wird ­ Debatte über die Bedeutung der Stabilisierungsphase (Substanzgebrauch, Selbstverlet zung, Suizidgedanken) ­ Umgang mit Dissoziation während der Behandlung ­ Stabilisierung nach der Behandlung ­ Schutz vor Reviktimisierung ­ Dem Entwicklungsstand entsprechende Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregu lation ­ Bei Kindern: Sammlung von altersentsprechenden Techniken und Methoden ­ Bei Jugendlichen: Sammlung von Techniken und Methoden (DBT-A/P, START: StressTraumasymptoms-Arousal-Regulation-Treatment) ­ Dem Entwicklungsstand entsprechende Interventionen zur Verbesserung der Beziehungsre gulation ­ Dem Entwicklungsstand entsprechende Interventionen zur Verbesserung des Selbstwertes und der Selbstwertregulation 10. Selbsterfahrung und Psychohygiene Themenzentrierte Selbsterfahrung (auch im Gruppensetting) bei vom jeweiligen Ausbildungsin stitut benannten und entsprechend qualifizierten SupervisorInnen. Psychohygiene für PsychotherapeutInnen: ­ Reflexion von potentieller sekundärer Traumatisierung und Burnout-Risiken 8 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1829 ­ Reflexion der eigenen therapeutischen Haltung und Abstinenz ­ Verfahren und Methoden zum Selbstschutz und Psychohygiene für BehandlerInnen 11. Supervision 20 Regelmäßige Supervision eigener Behandlungsfälle (in der Regel videodokumentiert) durch ent sprechend qualifizierte SupervisorInnen (u. a. Indikationsstellung und Behandlungsplanung) im Einzelsetting oder in Gruppen (maximal 6 Teilnehmer). B Abschlusskolloquium Kollegiales fallbezogenes Gespräch mit Dokumentation der Prüfungsthemen in einem stich punktartigen Protokoll. Als Voraussetzungen für die Zulassung zum Abschlusskolloquium sind 4 supervidierte und do kumentierte Behandlungsfälle (Kurzfassung ­ 4 ­ 6 Seiten) mit unterschiedlichen Störungsbildern (Vollbild PTBS, komplexe Traumatisierung u. a. nach frühen Kindheitstrauma Behandlungsstun den, und ­ wenn möglich ­ Akuttraumatisierung) einzureichen, von denen alle Behandlungsfälle eine volle Diagnostik (einschließlich mindestens 2 traumaspezifischer Testverfahren) beinhalten müssen und 2 dem Abschlusskolloquium zugrunde gelegt werden. Vorzugsweise sollten die Fälle videodokumentiert und supervidiert sein. Insgesamt müssen mindestens 50 traumathera peutische Behandlungsstunden absolviert und dokumentiert worden sein (dies beinhaltet auch Stunden mit Angehörigen). Die Supervision der Behandlungsfälle erfolgt im Verhältnis 1:4 Gesamtstunden (UE) C Vertiefungsmodule Vertiefungsmodul ,,Behandlung akuter Traumafolgestörungen" 140 Stud. (UE) 8 ­ Vertiefung der nosologischen Konzepte in ICD-11 (Akute Belastungsreaktion) und DSM-5 (Akute Belastungsstörung) sowie deren Auswirkungen auf die Behandlung akut belasteter Kinder und Jugendlicher ­ Vertiefung AWMF-S2-Leitlinie ,,Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung" ­ Überblick über traumafokussierte Behandlungstechniken in den ersten 4 Wochen nach aku ter Traumatisierung (Evidenzbasis, aktueller Forschungsstand zur Wirksamkeit empfohlener Verfahren und ihrem Einsatz für verschiedene Zielgruppen) ­ Besonderheiten der Akutbetreuung und der Psychosozialen Notfallversorgung durch abge stufte Unterstützungsangebote ­ Vertiefung: Allgemeine Gesprächsführung mit akut belasteten Kindern und Jugendlichen und deren Angehörigen (im Einzel- und Gruppensetting, z. B. bei Ereignissen in der Schule, beim Sport, bei Großveranstaltungen). Gesprächsführung mit akut belasteten Erziehungsberech tigten ­ Überblick über aktuelle Empfehlungen und Leitlinien zur Behandlung von Betroffenen großer Schadenslagen (z. B. TENTS, The National Child Tramatic Stress Network/NCTSM) ­ Vertiefung: Psychoedukation für Angehörige zur Unterstützung von Kindern und Jugend lichen nach akuten Belastungen/Traumatisierungen ­ Vertiefung: Psychoedukation für Angehörige zur Unterstützung von Kindern und Jugend lichen nach akuten Belastungen/Traumatisierungen ­ Hinweise auf weiterführende professionelle Hilfsangebote in Akutsituationen ­ Vertiefung: Umgang mit schwerwiegenden Symptomen (z. B. Dissoziation, Suizidalität oder psychotischen Zuständen) ­ Vertiefung einer traumafokussierten Behandlungstechnik zur Frühintervention in den ersten 4 Wochen nach akuter Traumatisierung (Theoretischer Hintergrund, Evidenzbasis, Vorgehen und Materialien) 8 ­ Praktisches Einüben des Verfahrens in Kleingruppen anhand von Fallbeispielen Gesamtstunden (UE) Vertiefungsmodul ,,Transkulturelle Kompetenz" ­ Grundkenntnis: Istanbul Protokoll, aufenthaltsrechtliche Bestimmungen und Verfahren mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse und Rechte von Kindern, Jugendlichen und unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (UMF). Recht auf Familienzusammenführung 16 8 1830 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 ­ Vertiefung: Sequentielle Traumatisierung und Postmigrationsstressoren, Prämigrationserfah rungen ­ Besonderheiten klinischer Symptomatik je nach Entwicklungsalter mit Berücksichtigung des kulturspezifischen Krankheitsausdrucks und transkultureller Aspekte ­ Krankheitskonzepte/Therapieerwartungen ­ Vertiefung Diagnostik (Multilinguale Instrumente, Einbezug von DolmetscherInnen) ­ Einbindung in multiprofessionelle Netzwerke, Schulassistenz, Jugendhilfe, Kooperation mit anderen Einrichtungen: Behandlungszentren, Integrationskurse, etc. ­ Praktisches Einüben der Verfahren in Kleingruppen anhand von Fallbeispielen ­ Vertiefung einer traumafokussierten Behandlungstechnik, die im transkulturellen Setting gut anwendbar ist 8 ­ Möglichkeiten und Grenzen von therapeutischen Interventionen bei unsicherer äußerer Situa tion und anhaltender Stresssituation. Einführung in Prinzipien von ,,psycological first aid" und Mental Health Psychoscoial Support (MHPSS). Umgang mit Krisensituationen bei neuer lichen Belastungen ­ Vertiefung zu Besonderheiten im Therapieverlauf (z. B. Psychoedukation, Stabilisierung, kul tursensitive und kontextangepasste Behandlungsansätze) ­ Dolmetscher gestützte Therapie (Regeln, Professionalisierung und Bedarfe an Fortbildung und Supervision des Dolmetschers/der Dolmetscherin, Abrechnungsprozedere) ­ Praktisches Einüben der Verfahren in Kleingruppen anhand von Fallbeispielen inklusive dol metschergestützte Traumatherapie Gesamtstunden (UE) Vertiefungsmodul ,,Kinderschutz und Einbeziehen des Herkunftssystems" 16 8 ­ Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtkonvention) ­ Kindeswohl und Feststellung einer Kindeswohlgefährdung ­ Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ­ Formen der Gewalt und Vernachlässigung (incl. körperlicher Muster) ­ Systemische Beachtung des Umgangs mit Trauma in der Familie ­ Gesprächsführung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ­ Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen mit Misshandlungserfahrungen ­ Grundsätze für das Gespräch mit Obsorgeberechtigten/Eltern ­ das ,,Konfrontationsgespräch" ­ Dokumentation von Gesprächen im Kinderschutzfall ­ Mitteilung bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung, Verschwiegenheits-, Anzeige- und Mel depflicht ­ Multiprofessionelle Zusammenarbeit und Einbeziehung der Kinderschutzgruppen ­ Länderspezifische gesetzliche Rahmenbedingungen ­ Umgang mit Schweigepflichten, länderspezifische rechtliche Regelungen für Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte (Österreich, Deutschland, Schweiz) ­ Gelingensfaktoren im Kinderschutz ­ Reflektierte Auseinandersetzung mit der Kinderschutzarbeit ­ Umgang mit vernachlässigenden und misshandelnden Elternteilen in der Therapie ­ Vertiefung der Auswirkungen von elterlicher Traumatisierung auf das Erziehungsverhalten ­ Vertiefung von Aspekten der transgenerationalen Traumatisierung ­ Kinderschutzgruppe (KSG) und interdisziplinäre Zusammenarbeit ­ Zusammensetzung, Aufgaben und Ziele der KSG ­ Dokumentation der KSG ­ Schriftliche Gefährdungsmeldung und Anzeige ­ Regelungen zur Verschwiegenheit in der professionellen Zusammenarbeit ­ Basiswissen über Schutzkonzepte in Institutionen Externe Unterstützungsangebote/Netzwerke ­ Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe 8 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 25. Oktober 2022 1831 ­ Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche ­ Hilfsangebote für Obsorgeberechtigte/Eltern ­ Angebote für PädagogInnen, BeraterInnen, PsychotherapeutInnen Selbstfürsorge im Kinderschutz ­ Umgang mit Herausforderungen ­ Rollenverständnis und -klarheit ­ Kollegialer Austausch und Reflexion im Team ­ Nachbearbeitung von Kinderschutzfällen ­ Supervision Gesamtstunden (UE) 16