Bundesgesetzblatt  Bundesgesetzblatt Teil I  1953  Nr. 40 vom 27.07.1953  - Seite 684 bis 686 - Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz)

Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) 684 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1953, Teil I Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz). Vom 24. Juli 1953. Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Abschnitt I Allgemeines §1 (1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. (2) Dieses Recht hat nicht, 1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat, 2. wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will, 3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder 4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist. §2 (1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öfffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben. (2) Bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen hat jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsmäßige Durchführung zu verhindern. (3) Niemand darf Waffen bei sich tragen, es sei denn, daß er zum Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt ist. §3 (1) Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. (2) Das Verbot des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke gilt nicht für Mitglieder von Jugendverbänden, die sich vorwiegend der Jugendpflege widmen. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet bei Jugendverbänden, die sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken, der Bundesminister des Innern, sonst die oberste Landesbehörde. §4 Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zu verwenden. Abschnitt II öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen §5 Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn 1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist, 2. der Veranstalter oder Leiter der Versammlung entgegen § 2 Abs. 3 bewaffneten Teilnehmern Zutritt gewährt, 3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben, 4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. §6 (1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden. (2) Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen. §7 (1) Jede öffentliche Versammlung muß einen Leiter haben. (2) Leiter der Versammlung ist der Veranstalter. Wird die Versammlung von einer Vereinigung veranstaltet, so ist ihr Vorsitzender der Leiter. (3) Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen. (4) Der Leiter übt das Hausrecht aus. §8 Der Leiter bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Er kann die Versammlung jederzeit unter- Nr. 40 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 27. Juli 1953 685 brechen oder schließen. Er bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung fortgesetzt wird. §9 (1) Der Leiter kann sich bei der Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher, unbewaffneter Ordner bedienen. Diese müssen volljährig sein und sind ausschließlich durch weiße Armbinden, die nur die Bezeichnung "Ordner" tragen dürfen, kenntlich zu machen. (2) Der Leiter ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken. § 10 Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen. §11 (1) Der Leiter kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. (2) Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen. § 12 Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muß ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden. § 13 (1) Die Polizei (§ 12) kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn 1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist, 2. die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht, 3. der Leiter Personen, die entgegen § 2 Abs. 3 Waffen mit sich führen, nicht sofort ausschließt und für die Durchführung des Ausschlusses sorgt, 4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet. In den Fällen der Nummern 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen. (2) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen. Abschnitt III öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge §14 (1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde anzumelden. (2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll. § 15 (1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den Umständen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit unmittelbar gefährdet ist. (2) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 gegeben sind. (3) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen. § 16 (1) öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sind innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bundes oder der Länder sowie des Bundesverfassungsgerichts verboten. (2) Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane des Bundes und für das Bundesverfassungsgericht werden durch Bundesgesetz, die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder durch Landesgesetze bestimmt. (3) Das Weitere regeln die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder. § 17 §§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste. § 18 (1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden. 686 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1953, Teil I (2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen. (3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen. § 19 (1) Der Leiter des Aufzuges hat für den ordnungsmäßigen Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18 gelten. (2) Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen. (3) Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, so ist er verpflichtet, den Aufzug für beendet zu erklären. (4) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen. §20 Das Grundrecht des Artikels 8 des Grundgesetzes wird durch die Bestimmungen dieses Abschnitts eingeschränkt. Abschnitt IV Strafvorschriften §21 Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Gefängnis bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. §22 Wer bei einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug dem Leiter oder einem Ordner in der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn während der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungsbefugnisse tätlich angreift, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. §23 (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Schallaufnahmen, Abbildungen oder Darstellungen zur Teilnahme an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder einem verbotenen Aufzug auffordert, wird mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Kannte der Täter das Verbot infolge von Fahrlässigkeit nicht, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. §24 Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges Ordner verwendet, die bewaffnet sind, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. §25 Wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges 1. die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben, oder 2. Auflagen nach § 15 Abs. 1 nicht nachkommt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. §26 (1) Wer als Veranstalter oder Leiter 1. eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug trotz Verbots abhält oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt oder 2. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14) durchführt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Kannte der Täter das Verbot, die Auflösungsverfügung oder den Mangel der Anmeldung infolge von Fahrlässigkeit nicht, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. §27 Wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen bei sich führt, ohne zum Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. §28 Wer den Vorschriften der §§3 oder 4 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. §29 Mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Deutsche Mark wird bestraft, wer 1. an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder einem verbotenen Aufzug teilnimmt, 2. trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortfährt, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu stören, 3. sich nicht unverzüglich nach seiner Ausschließung aus einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug entfernt, 4. sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die Polizei nicht unverzüglich entfernt, 5. der Aufforderung der Polizei, die Zahl der von ihm bestellten Ordner mitzuteilen, nicht nach-