Bundesgesetzblatt  Bundesgesetzblatt Teil I  1961  Nr. 64 vom 16.08.1961  - Seite 1205 bis 1219 - Gesetz für Jugendwohlfahrt

Gesetz für Jugendwohlfahrt Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1205 Bekanntmachung der Neufassung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt Vom 11. August 1961 Auf Grund des Artikels XIV des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vom 11. August 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 1193) wird nachstehend der Wortlaut des Gesetzes für Jugendwohlfahrt in der gemäß Artikel XVI des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ab l.Juli 1962, hinsichtlich des Artikels IV Nr. 4 und 5 ab 1. Januar 1962 geltenden Fassung bekanntgemacht. Bonn, den 11. August 1961 Der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen Dr. Wuermelfng 1206 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I Gesetz für JugendwoMfahrt (JWG) Vom 11. August 1961 Inhaltsübersicht Abschnitt I §§ Allgemeines................................................... 1 bis 3 Abschnitt II Jugendwohlfahrtsbehörden 1. Jugendamt a) Zuständigkeit............................................ 4 bis 11 b) Aufbau und Verfahren ................................... 12 bis 18 2. Landesjugendamt ........................................... 19 bis 21 3. Oberste Landesbehörde ..................................... 22 4. Besondere Aufgaben aller Jugendwohlfahrtsbehörden ......... 23 Abschnitt III Bundesregierung und Bundesjugendkuratorium .................. 24 bis 26 Abschnitt IV Schutz der Pflegekinder 1. Erlaubnis zur Annahme ..................................... 27 bis 30 2. Aufsicht .................................................... 31 und 32 3. Vorläufige Unterbringung ................................... 33 4. Behördlich angeordnete Familienpflege ....................... 34 5. Ermächtigung der Länder.................................... 35 und 36 Abschnitt V Stellung des Jugendamts im Vormundschaftswesen; Vereinsvormundschaft 1. Amtsvormundschaft a) Allgemeine Bestimmungen ............................... 37 bis 39 b) Gesetzliche Amts Vormundschaft . .......................... 40 bis 45 c) Bestellte Amtsvormundschaft............................. 46 2. Stellung des Jugendamts zum Vormundschaftsgericht und zur Einzelvormundschaft ........................................ 47 bis 51 3. Mitvormundschaft, Gegenvormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft des Jugendamts ................................. 52 4. Vereinsvormundschaft ....................................... 53 und 54 Abschnitt VI Erziehungsbeistandschaft, Freiwillige Erziehungshilfe und Füsorge-erziehung 1. Erziehungsbeistandschaft .................................,.. 55 bis 61 2. Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung ............ 62 bis 77 Abschnitt VII Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen ....................................................... 78 und 79 Abschnitt VIII Kostentragung bei Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige 80 bis 85 Abschnitt IX Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ........................... 86 bis 88 Schlußbestimmung ............................................. 89 Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1207 Abschnitt I Allgemeines § 1 (1) Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit. (2) Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten ist ein Eingreifen nur zulässig, wenn ein Gesetz es erlaubt. (3) Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt, unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit, öffentliche Jugendhilfe ein. § 2 (1) Organe der öffentlichen Jugendhilfe sind die Jugendwohlfahrtsbehörden (Jugendämter, Landesjugendämter, oberste Landesbehörden), soweit nicht gesetzlich die Zuständigkeit anderer öffentlicher Körperschaften oder Einrichtungen, insbesondere der Schule, gegeben ist. (2) Die öffentliche Jugendhilfe umfaßt alle behördlichen Maßnahmen zur Förderung der Jugendwohlfahrt (Jugendpflege und Jugendfürsorge) und regelt sich, unbeschadet der bestehenden Gesetze, nach den folgenden Vorschriften. § 3 (1) Die öffentliche Jugendhilfe soll die in der Familie des Kindes begonnene Erziehung unterstützen und ergänzen. Die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung ist bei allen Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe zu beachten, sofern hierdurch das Wohl des Kindes nicht gefährdet wird. Ihr Recht, die religiöse Erziehung zu bestimmen, ist im Rahmen des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (Reichsgesetzbl. S. 939) stets zu beachten. (2) Den Wünschen der Personensorgeberechtigten, die sich auf die Gestaltung der öffentlichen Jugendhilfe im Einzelfall richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind und keine unvertretbaren Mehrkosten erfordern. (3) Die Zusammenarbeit mit den Personensorgeberechtigten ist bei allen Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe anzustreben. Abschnitt II Jugend wohlfahrtsbehörden 1. Jugendamt a) Zuständigkeit § 4 Aufgaben des Jugendamts sind 1. der Schutz der Pflegekinder gemäß §§ 27 bis 36, 2. die Mitwirkung im Vormundschaftswesen, insbesondere die Tätigkeit des Gemeindewaisen rats, gemäß §§37 bis 54, 3. die Mitwirkung bei der Erziehungsbeistandschaft, der Freiwilligen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung gemäß §§ 55 bis 77, 4. die Jugendgerichtshilfe nach den Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes, 5. die Mitwirkung bei der Beaufsichtigung der Arbeit von Kindern und jugendlichen Arbeitern nach näherer landesrechtlicher Vorschrift, 6. die Mitwirkung bei der Fürsorge für Kriege r-waisen und Kinder von Kriegsbeschädigten, 7. die Mitwirkung in der Jugendhilfe bei den Polizeibehörden, insbesondere bei der Unterbringung zur vorbeugenden Verwahrung, gemäß näherer landesrechtlicher Vorschrift. § 5 (1) Aufgabe des Jugendamts ist ferner, die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen, insbesondere für 1. Beratung in Fragen der Erziehung, 2. Milien für Mutter und Kind vor und nach der Geburt, 3. Pflege und Erziehung von Säuglingen, Kleinkindern und von Kindern im schulpflichtigen Alter außerhalb der Schule, 4. erzieherische Betreuung von Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Gesundheitshilfe, 5. allgemeine Kinder- und Jugenderholung sowie erzieherische Betreuung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Familienerholung, 6. Freizeithilfen, politische Bildung und internationale Begegnung, 7. Erziehungshilfen während der Berufsvorbereitung, Berufsausbildung und Berufstätigkeit einschließlich der Unterbringung außerhalb des Elternhauses, 8. erzieherische Maßnahmen des Jugendschutzes und für gefährdete Minderjährige. Maßnahmen nach den Nummern 1 und 5 bis 7 können sich auch auf junge Menschen über 21 Jahre erstrecken. (2) Zu den Aufgaben nach Absatz 1 gehört es auch, Einrichtungen und Veranstaltungen sowie die eigenverantwortliche Tätigkeit der Jugendverbände und sonstigen Jugendgemeinschaften unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens zu fördern, insbesondere 1. ihre Tätigkeit auf den in Absatz 1 Nr. 6 genannten Gebieten, 2. die Ausbildung und Fortbildung ihrer Mitarbeiter, 1203 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I 3. die Errichtung und Unterhaltung von Jugendheimen, Freizeitstätten und Ausbildungsstätten. (3) Das Jugendamt hat unter Berücksichtigung der verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung darauf hinzuwirken, daß die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen ausreichend zur Verfügung stehen. Soweit geeignete Einrichtungen und Veranstaltungen der Träger der freien Jugendhilfe vorhanden sind, erweitert oder geschaffen werden, ist von eigenen Einrichtungen und Veranstaltungen des Jugendamts abzusehen. Wenn Personensorgeberechtigte unter Berufung auf ihre Rechte nach § 3 die vorhandenen Träger der freien Jugendhilfe nicht in Anspruch nehmen wollen, hat das Jugendamt dafür zu sorgen, daß die insoweit erforderlichen Einrichtungen geschaffen werden. (4) Träger der freien Jugendhilfe sind 1. freie Vereinigungen der Jugendwohlfahrt, 2. Jugendverbände und sonstige Jugendgemeinschaften, 3. juristische Personen, deren Zweck es ist, die Jugendwohlfahrt zu fördern, 4. die Kirchen und die sonstigen Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts. (5) Das Nähere zu den Absätzen 1 bis 3 wird durch Landesrecht bestimmt. § 6 (1) Zu den Aufgaben nach § 5 Abs. 1 gehört es, im Rahmen der Einrichtungen und Veranstaltungen die notwendigen Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige dem jeweiligen erzieherischen Bedarf entsprechend rechtzeitig und ausreichend zu gewähren. (2) Werden einem einzelnen Minderjährigen nach § 4 oder 5 Hilfen zur Erziehung gewähre, so gehört hierzu der in einer Familie außerhalb des Elternhauses des Minderjährigen, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung gewährte notwendige Lebensunterhalt. (3) Die Vorschriften der Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen. § 7 Das Jugendamt hat über die Verpflichtungen nach §§5 und 6 hinaus die freiwillige Tätigkeit zur Förderung der Jugendwohlfahrt unter Wahrung ihrer Selbständigkeit und ihres satzungsgemäßen Charakters zu unterstützen, anzuregen und zur Mitarbeit heranzuziehen, um mit ihr zum Zwecke eines planvollen Ineinandergreifens aller Organe und Einrichtungen der öffentlichen und freien Jugendhilfe zusammenzuwirken. § 8 (1) Bei Förderung nach vorstehenden Bestimmungen sind die Grundsätze zu beachten, die landesrechtlich für die Durchführung der Aufgaben der Jugendhilfe gelten. (2) Bei Förderung gleichartiger Maßnahmen mehrerer Träger der freien Jugendhilfe sind unter Berücksichtigung ihrer Eigenleistungen gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen. (3) Werden gleichartige Maßnahmen der freien und der öffentlichen Jugendhilfe durchgeführt, so sind bei Förderung der Träger der freien Jugendhilfe unter Berücksichtigung ihrer Eigenleistungen die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten. § 9 (1) Träger der freien Jugendhilfe dürfen nur unterstützt werden, wenn sie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit und für eine sachgerechte, zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bieten sowie öffentlich anerkannt sind. (2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Grundsätze festzulegen, nach denen die Anerkennung der Träger der freien Jugendhilfe erfolgt. §10 Die Behörden des Bundes, der Länder, der Selbstverwaltungskörper, die Organe der Versicherungsträger und die Jugendämter haben sich gegenseitig und die Jugendämter einander zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendwohlfahrt Beistand zu leisten. Die Organe der Versicherungsträger sind insbesondere zur Auskunfterteilung über alle das Beschäftigungsverhältnis des Minderjährigen und der zu seinem Unterhalt verpflichteten Personen betreffenden Tatsachen verpflichtet. Insoweit finden die Vorschriften des § 142 der Reichsversicherungsordnung, des § 346 des Angestelltenversicherungsgesetzes und des § 233 des Reichsknappschaftsgesetzes keine Anwendung. § 11 Das Jugendamt ist zuständig für alle Minderjährigen, die in seinem Bezirk ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort haben. Für Minderjährige ohne gewöhnlichen Aufenthaltsort und für vorläufige Maßnahmen ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der öffentlichen Jugendhilfe hervortritt. b) Aufbau und Verfahren § 12 (1) Die öffentliche Jugendhilfe gemäß §§4 und 5 ist Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände. (2) Jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis errichten ein Jugendamt. (3) Die oberste Landesbehörde kann die Errichtung eines gemeinsamen Jugendamts durch benachbarte Stadt- und Landkreise sowie eines Jugendamts durch kreisangehörige Gemeindeverbände oder Gemeinden zulassen. Im Bedarfsfälle können in einer Gemeinde mehrere Jugendämter errichtet werden. § 13 (1) Zusammensetzung, Verfassung und Verfahren des Jugendamts werden auf Grund landesrechtlicher Vorschriften geregelt. Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1209 (2) Das Jugendamt besteht aus dem Jugendwohlfahrtsausschuß und der Verwaltung des Jugendamts. (3) Die Aufgaben nach diesem Gesetz werden durch den Jugendwohlfahrtsausschuß und durch die Verwaltung des Jugendamts wahrgenommen. § 14 (1) Dem Jugendwohlfahrtsausschuß müssen angehören 1. Mitglieder der Vertretungskörperschaft und in der Jugendwohlfahrt erfahrene oder tätige Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise, die von der Vertretungskörperschaft zu wählen sind, 2. Männer und Frauen, die auf Vorschlag der im Bezirk des Jugendamts wirkenden Jugendverbände und der freien Vereinigungen der Jugendwohlfahrt durch die Vertretungskörperschaft zu wählen sind. Die freien Vereinigungen und die Jugendverbände haben Anspruch auf 2/s der Zahl der stimmberechtigten Mitglieder des Ausschusses, 3. der Leiter der Verwaltung oder ein von ihm bestellter Vertreter, 4. der Leiter der Verwaltung des Jugendamts, 5. ein Arzt des Gesundheitsamts, 6. Vertreter der Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinde, 7. ein Vormundschaftsrichter oder ein Jugendrichter. Landesrecht bestimmt, wer die Vertreter zu Nummern 5 und 7 benennt. (2) Nach näherer Bestimmung des Landesrechts und der Verfassung des Jugendamts können weitere Personen dem Jugendwohlfahrtsausschuß angehören. (3) Stimmberechtigte Mitglieder sind nur die unter Absatz 1 Nr. 1 und 2 aufgeführten Personen. Die übrigen Mitglieder haben nur beratende Stimme. Ob der Leiter der Verwaltung und der Leiter der Verwaltung des Jugendamts stimmberechtigt sind oder beratend teilnehmen, bestimmt sich nach Landesrecht. § 15 Der Jugendwohlfahrtsausschuß befaßt sich anregend und fördernd mit den Aufgaben der Jugendwohlfahrt. Er beschließt im Rahmen, der von der Vertretungskörperschaft bereitgestellten Mittel, der von ihr erlassenen Satzung und der von ihr gefaßten Beschlüsse über die Angelegenheiten der Jugendhilfe. Er soll in Fragen der Jugendwohlfahrt vor jeder Beschlußfassung der Vertretungskörperschaft gehört werden und hat das Recht, an sie Anträge zu stellen. Er tritt nach Bedarf, zumindest sechsmal im Jahr, zusammen und ist auf Antrag von mindestens einem Drittel der stimmberechtigten Mitglieder einzuberufen. § 16 (1) Die laufenden Geschäfte des Jugendamts werden von dem Leiter der Verwaltung oder in seinem Auftrage von dem Leiter der Verwaltung des Jugendamts im -Rahmen der Satzung und der Beschlüsse der zuständigen Vertretungskörperschaft und des Jugendwohlfahrtsausschusses geführt. (2) Zum Leiter der Verwaltung des Jugendamts dürfen nur Personen bestellt werden, die auf Grund ihres Charakters, ihrer Kenntnisse, ihrer Erfahrungen und in der Regel auf Grund einer fachlichen Ausbildung eine besondere Eignung für die Jugendhilfe haben; vor ihrer Bestellung ist der Jugendwohlfahrtsausschuß zu hören. (3) Für die Auswahl und Ausbildung der in der Verwaltung des Jugendamts auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt tätigen Fachkräfte stellt die oberste Landesbehörde Richtlinien auf und legt die allgemeinen Voraussetzungen für die Eignung fest. § 17 Die den Gesundheitsämtern nach § 3 des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 531) übertragenen Aufgaben werden nicht berührt. Das Gesundheitsamt und das Jugendamt müssen ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen. § 18 Der Leiter der Verwaltung des Jugendamts kann im Rahmen der Beschlüsse des Jugendwohlfahrtsausschusses die Erledigung einzelner Geschäfte oder Gruppen von Geschäften besonderen Ausschüssen sowie freien Vereinigungen der Jugendwohlfahrt, Jugendverbänden oder einzelnen in der Jugendwohlfahrt erfahrenen und bewährten Männern und Frauen widerruflich übertragen. Das Nähere regelt die oberste Landesbehörde, soweit der Bund nicht von seinem Recht gemäß § 24 Gebrauch macht. Die Verpflichtung des Jugendamts, für die sachgemäße Erledigung der ihm obliegenden Aufgaben Sorge zu tragen, wird hierdurch nicht berührt. 2. Landesjugendamt § 19 (1) Zur Sicherung einer gleichmäßigen Erfüllung der den Jugendämtern obliegenden Aufgaben und zur Unterstützung ihrer Arbeit sind Landesjugendämter zu errichten. (2) Größere Länder können mehrere Landesjugendämter errichten. (3) Kleinere Länder können ein gemeinsames Landesjugendamt errichten. Die Jugendämter eines Landes oder eines Landesteils können dem Landesjugendamt eines anderen Landes angeschlossen werden. Auch kann für Jugendämter verschiedener Länder oder Landesteile ein Landesjugendamt errichtet werden. § 20 (1) Dem Landesjugendamt liegen ob 1. die Aufstellung gemeinsamer Richtlinien und die sonstigen geeigneten Maßnahmen für die zweckentsprechende und einheitliche Tätigkeit der Jugendämter seines Bezirks, 1210 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I 2. die Beratung der Jugendämter und die Vermittlung der Erfahrungen auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt, 3. die Schaffung gemeinsamer Veranstaltungen und Einrichtungen für die beteiligten Jugendämter, 4. die Mitwirkung bei der Unterbringung Minderjähriger, 5. die Zusammenfassung aller Veranstaltungen und Einrichtungen, die sich auf die Fürsorge für gefährdete und verwahrloste Minderjährige beziehen, 6. die Ausführung der Freiwilligen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung, sofern nicht nach § 74 Abs 2 andere Behörden für zuständig erklärt sind, 7. die Vermittlung von Anregungen für die freiwillige Tätigkeit sowie die Förderung der freien Vereinigungen auf allen Gebieten der Jugendwohlfahrt und ihres planmäßigen Zusammenarbeitens untereinander und mit den Jugendämtern im Bereich des Landesjugendamts, 8. die Heiniaufsicht gemäß § 78 und die Aufgaben nach § 79. (2) Weitere Aufgaben können dem Landesjugendamt durch die oberste Landesbehörde übertragen werden. § 21 (1) Die Aufgaben des § 20 werden durch den Landesjugendwohlfahrtsausschuß und durch die Verwaltung des Landesjugendamts im Rahmen der Satzung und der dem Landesjugendamt zur Verfügung gestellten Mittel wahrgenommen, (2) Die laufenden Geschäfte werden von dem Leiter der Verwaltung des Landesjugendamts im Rahmen der Satzung und der Beschlüsse des Landes-jugendwohlfahrtsausschusses geführt (3) Die im Bezirk des Landesjugendamts wirkenden freien Vereinigungen der Jugendwohlfahrt und die Jugendverbände haben Anspruch auf 2/s der Zahl der stimmberechtigten Mitglieder des Landes-jugendwohlfahrtsausschusses. Sie sind auf Vorschlag der Verbände von der obersten Landesbehörde zu ernennen. Die übrigen Mitglieder werden durch Landesrecht bestimmt. (4) § 16 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. 3. Oberste Landesbehörde § 22 Die oberste Landesbehörde soll die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe unterstützen, die Erfahrungen den Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe übermitteln sowie auch sonst für die Verwertung der gesammelten Erfahrungen sorgen. Sie soll insbesondere Einrichtungen und Veranstaltungen der Jugendhilfe anregen und fördern, soweit sie über die Verpflichtungen der Jugendämter und Landesjugendämter hinaus zur Verwirklichung der Aufgaben der Jugendhilfe im Lande von Bedeutung sind, in besonderer Weise die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der Jugendhilfe schaffen oder zur Behebung von besonderen Notständen erforderlich sind. 4. Besondere Aufgaben aller Jugendwohlfahrtsbehörden § 23 . Die Jugendämter, Landesjugendämter und obersten Landesbehörden sollen 1. die Öffentlichkeit über die Lage der Jugend und über die Maßnahmen der Jugendhilfe unterrichten, 2. bei Maßnahmen der Jugendhilfe, die einer Ergänzung durch andere gesetzliche Träger der Jugendhilfe bedürfen, ein planvolles Zusammenwirken anstreben, 3. die Fortbildung der Fachkräfte der Jugendhilfe anregen, fördern und gegebenenfalls durchführen. Abschnitt III Bundesregierung und Bundesjugendkuratorium § 24 Zur Sicherung einer tunlichst gleichmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Jugendämter kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Ausführungsvorschriften erlassen. § 25 (1) Die Bundesregierung kann die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregen und fördern, soweit sie über die Verpflichtungen der Jugendämter, Landesjugendämter und obersten Landesbehörden hinaus zur Verwirklichung der Aufgaben der Jugendhilfe von Bedeutung sind. (2) Die Bundesregierung legt alle 4 Jahre, erstmals zum 1. Juli 1963, dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe vor. § 26 (1) Zur Beratung der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Jugendhilfe wird ein Bundesjugendkuratorium errichtet. (2) Das Nähere regelt die Bundesregierung durch Verwaltungsvorschriften. Abschnitt IV Schutz der Pflegekinder 1. Erlaubnis zur Annahme § 27 (1) Pflegekinder sind Minderjährige unter 16 Jahren, die sich dauernd oder nur für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, außerhalb des Elternhauses in Familienpflege befinden. (2) Pflegekinder sind nicht 1. Minderjährige, die sich bei ihren Personensorgeberechtigten befinden, Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1211 2. eheliche Minderjährige, die sich bei Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad befinden, es sei denn, daß diese Personen Minderjährige entgeltlich, gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig in Pflege nehmen, 3. Minderjährige, die aus Anlaß auswärtigen Schulbesuchs für einen Teil des Tages in Pflege genommen werden, oder die zum Zweck des Schulbesuchs in auswärtigen Schulorten in Familien untergebracht sind, wenn die Pflegestelle von der Leitung der Schule für geeignet erklärt ist und überwacht wird, 4. Minderjährige, die bei ihrem Lehrherrn oder Arbeitgeber untergebracht sind, wenn die Pflegestelle von der nach Landesrecht zuständigen Behörde für geeignet erklärt ist und überwacht wird, 5. Minderjährige, die unentgeltlich für eine Zeit von nicht mehr als sechs Wochen in Pflege genommen werden, 6. Minderjährige, die sich in Freiwilliger Erziehungshilfe oder Fürsorgeerziehung befinden. § 28 Wer ein Pflegekind aufnimmt (Pflegeperson), bedarf dazu der vorherigen Erlaubnis des Jugendamts. Kann in Eilfällen die Erlaubnis nicht vorher erwirkt werden, so ist sie unverzüglich nachträglich zu beantragen. Wer mit einem Pflegekind in den Bezirk eines Jugendamts zuzieht, hat die Erlaubnis zur Fortsetzung der Pflege unverzüglich einzuholen. Die Erlaubnis kann befristet oder unter einer Bedingung erteilt oder mit Auflagen versehen werden. § 29 (1) Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn in der Pflegestelle das leibliche, geistige und seelische Wohl des Pflegekindes gewährleistet ist. (2) Die Pflegeerlaubnis kann widerrufen werden, wenn das Wohl des Pflegekindes es erfordert. § 30 Zuständig für die Erteilung und den Widerruf der Erlaubnis ist das Jugendamt, in dessen Bezirk die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. 2. Aufsicht § 31 (1) Pflegekinder unterstehen der Aufsicht des Jugendamts. Das gleiche gilt für uneheliche Kinder, die sich bei der Mutter befinden, wenn ihr nicht die elterliche Gewalt übertragen ist. Die Aufsicht erstreckt sich darauf, daß das leibliche, geistige und seelische Wohl des Pflegekindes gewährleistet ist. (2) Das Jugendamt hat die Pflegeperson zu beraten und bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. (3) Das Jugendamt kann Pflegekinder widerruflich von der Beaufsichtigung befreien. Uneheliche Kinder sollen, solange sie sich bei der Mutter befinden, von der Beaufsichtigung widerruflich befreit werden, wenn das Wohl des Kindes gesichert ist. § 32 Wer ein nach § 31 Abs. 1 der Aufsicht unterstehendes Kind in Pflege hat, ist verpflichtet, dessen Aufnahme, Abgabe, Wohnungswechsel und Tod dem Jugendamt unverzüglich anzuzeigen. 3. Vorläufige Unterbringung § 33 (1) Bei Gefahr im Verzuge kann das Jugendamt das Pflegekind sofort aus der Pflegestelle entfernen und vorläufig anderweit unterbringen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (2) Das Jugendamt ist verpflichtet, die Personensorgeberechtigten, die Pflegeperson und das zuständige Vormundschaftsgericht von der getroffenen Maßnahme unverzüglich zu benachrichtigen. 4. Behördlich angeordnete Familienpflege § 34 Bei Kindern, die von anderen landesgesetzlich zuständigen Behörden in Familienpflege untergebracht werden, steht die Erteilung der Erlaubnis und die Aufsicht diesen Behörden zu. Doch kann die Übertragung dieser Befugnisse von diesen Behörden auf das örtlich zuständige Jugendamt durch die zuständige Landesbehörde angeordnet werden. 5. Ermächtigung der Länder § 35 (1) Das Nähere über die Pflegeerlaubnis, die Aufsichtsbefugnisse und die Anzeigepflicht wird durch Landesrecht bestimmt. (2) Durch Landesrecht kann bestimmt werden, inwieweit die Vorschriften dieses Abschnitts auf Pflegekinder anzuwenden sind, die unter der Aufsicht einer Vereinigung stehen, die der Jugendwohlfahrt dient und durch das Landes Jugendamt für geeignet erklärt ist. § 36 Die Befugnis der Länder, weitere Vorschriften zum Schutz der Minderjährigen zu erlassen, bleibt unberührt. Abschnitt V Stellung des Jugendamts im Vormundschaftswesen; Vereinsvormundschaft 1. Amtsvormundschaft a) Allgemeine Bestimmungen § 37 Das Jugendamt wird Vormund in den durch die folgenden Bestimmungen vorgesehenen Fällen (Amtsvormundschaft). Es überträgt die Ausübung 1212 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I der vormundschaftlichen Obliegenheiten einzelnen seiner Beamten oder Angestellten. Im Umfang der Übertragung sind die Beamten und Angestellten zur gesetzlichen Vertretung der Mündel befugt. Die Übertragung gehört nicht zu den laufenden Geschäften im Sinne des § 16. § 38 (1) Auf die Amts Vormundschaft finden die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit folgender Maßgabe Anwendung. Ein Gegenvormund wird nicht bestellt; dem Amtsvormund stehen die nach §§ 1852 bis 1854 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässigen Befreiungen zu. Von der Anwendung ausgeschlossen sind die §§ 1788, 1801, 1835, 1836 Abs. 1 Satz 2 bis 4 und Abs. 2, § 1837 Abs. 2, §§ 1838, 1844 und 1886. (2) § 1805 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet mit der Maßgabe Anwendung, daß die Anlegung von Mündelgeld gemäß § 1807 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch bei der das Jugendamt errichtenden Körperschaft zulässig ist. Hat das Jugendamt Aufwendungen zum Zwecke der Führung der Vormundschaft gemacht, so sind ihm diese aus dem Vermögen des Mündels zu ersetzen. Allgemeine Verwaltungskosten werden nicht ersetzt. (3) Der Amtsvormund hat auf das religiöse Bekenntnis oder die Weltanschauung des Mündels oder seiner Familie bei der Unterbringung Rücksicht zu nehmen. § 39 Die Landesgesetzgebung kann bestimmen, daß weitere Vorschriften des ersten Titels des dritten Abschnitts im vierten Buche des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche die Aufsicht des Vormundschaftsgerichts in vermögensrechtlicher Hinsicht betreffen, gegenüber dem Amtsvormund außer Anwendung bleiben. Die Prüfung der Schlußrechnung und die Vermittlung ihrer Abnahme durch das Vormundschaftsgericht bleiben hiervon unberührt. b) Gesetzliche Amtsvormundschaft § 40 (1) Mit der Geburt eines unehelichen Kindes wird das Jugendamt des Geburtsorts Amtsvormund, wenn die Mutter Deutsche im Sinne des Grundgesetzes ist; das gleiche gilt, wenn die Mutter staatenlos oder Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Bun-desgesetzbl. 1953 II S. 559) ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat. Wird die Unehelichkeit des Kindes erst später festgestellt oder ergibt sich seine Unehelichkeit daraus, daß der Ehemann seiner Mutter für tot erklärt oder dessen Todeszeit gerichtlich festgestellt wird, so erlangt das Jugendamt die Vormundschaft, in dessen Bezirk das Kind in dem Zeitpunkt, in dem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Bis zum Eingreifen des zuständigen Vormundschaftsgerichts hat das Amtsgericht des Geburtsorts die erforderlichen vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen zu treffen. (3) Auf uneheliche deutsche Kinder, die im Ausland geboren sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Aufenthalt nehmen, finden, falls eine deutsche Vormundschaft noch nicht eingeleitet ist, die Bestimmungen des Absatzes 1 mit der Maßgabe Anwendung, daß das nach § 11 dieses Gesetzes zuständige Jugendamt die Vormundschaft erlangt. § 41 Der Standesbeamte hat die nach § 48 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17./20. Mai 1898 (Reichsgesetzblatt S. 189/771) dem Vormundschaftsgericht zu erstattende Anzeige über die Geburt eines unehelichen Kindes dem Jugendamt zu übersenden. Dieser Anzeige ist eine Mitteilung über das religiöse Bekenntnis anzufügen. Das Jugendamt hat unter Weiterreichung der Geburtsanzeige den Eintritt der Vormundschaft (§ 40) dem Vormundschaftsgericht unverzüglich anzuzeigen. § 42 Das Vormundschaftsgericht hat dem Jugendamt unverzüglich eine Bescheinigung über den Eintritt der Vormundschaft zu erteilen, die bei der Beendigung der Vormundschaft zurückzugeben ist. § 43 Auf Antrag des Jugendamts oder einer unverehelichten Mutter kann für eine Leibesfrucht ein Pfleger bestellt werden, auch wenn die Voraussetzung des § 1912 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht gegeben ist. Der Pfleger wird mit der Geburt des Kindes im Einverständnis mit dem Jugendamt Vormund. In diesem Falle findet § 40 keine Anwendung. Die Vormundschaft wird bei dem Vormundschaftsgericht geführt, bei dem die Pflegschaft anhängig war. § 44 (1) Sobald es das Wohl des Mündels erfordert, soll das die Vormundschaft führende Jugendamt bei dem Jugendamt eines anderen Bezirks die Weiterführung der Vormundschaft beantragen. Der Antrag kann auch von dem Jugendamt eines anderen Bezirks sowie von der Mutter und von einem jeden, der ein berechtigtes Interesse des Mündels geltend macht, gestellt werden. Das die Vormundschaft abgebende Jugendamt hat den Übergang dem Vormundschaftsgericht unverzüglich anzuzeigen. (2) Gegen die Ablehnung des Antrags kann das Vormundschaftsgericht angerufen werden. § 45 Das Vormundschaftsgericht hat das Jugendamt auf seinen Antrag als Amtsvormund zu entlassen und einen Einzelvormund zu bestellen, soweit dies dem Wohle des Mündels nicht entgegensteht. c) Bestellte Amtsvormundschaft § 46 (1) Das Jugendamt kann unter den Voraussetzungen des § 1773 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit seinem Einverständnis vor den in § 1776 des Bür- Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1213 gerlichen Gesetzbuchs als Vormünder berufenen Personen zum Vormund für einen Minderjährigen bestellt, werden, soweit nicht ein geeigneter anderer Vormund vorhanden ist. (2) Auf die bestellte Amtsvormundschaft finden die §§ 1789 und 1791 des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine Anwendung. Die Bestellung erfolgt durch schriftliche Verfügung des Vormundschaftsgerichts. 2. Stellung des Jugendamts zum Vormundschaft sgericht und zur Einzel-vormundschaft § 47 (1) Das Jugendamt ist Gemeindewaisenrat. § 18 gilt entsprechend. (2) Die Landesgesetzgebung kann örtliche Einrichtungen zur Unterstützung des Jugendamts in den Geschäften des Gemeindewaisenrats treffen. § 48 (1) Das Jugendamt hat über seine Verpflichtungen nach § 1694 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinaus das Vormundschaftsgericht bei allen Maßnahmen zu unterstützen, welche die Sorge für die Person Minderjähriger betreffen. In den Fällen des § 1597 Abs. 1 bis 3 und in den entsprechenden Fällen der §§ 1721, 1735a sowie in den Fällen der §§ 3, 1634, 1666, 1671, 1672, des § 1707 Abs. 2, des § 1727, des § 1728 Abs. 2, des § 1729 Abs. 2, der §§ 1751, 1770 a, 1770 b des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des § 1 Abs. 2, des § 3 Abs. 3 des Ehegesetzes hat das Vormundschaftsgericht vor der Entscheidung das zuständige Jugendamt zu hören. In den Fällen des § 1751 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat das Vormundschaftsgericht außerdem das zuständige Landesjugendamt zu hören, wenn das Kind von einem fremden Staatsangehörigen an Kindes Statt angenommen werden soll oder wenn der Annehmende seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat. (2) Bei Gefahr im Verzuge kann das Vormundschaftsgericht einstweilige Anordnungen auch schon vor Anhörung des Jugendamts treffen. Es kann das Jugendamt mit der Ausführung der Anordnungen aus § 1631 Abs. 2 und § 1634 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und mit dessen Einverständnis auch mit der Ausführung sonstiger Anordnungen betrauen. (3) Wirkt das Vormundschaftsgericht bei der Sicherung des Unterhalts eines Minderjährigen mit, so hat sich das Jugendamt auf Verlangen über die Höhe des Unterhalts gutachtlich zu äußern. § 49 (1) Das Landesjugendamt kann auf Antrag des Jugendamts Beamte und Angestellte des Jugendamts ermächtigen, Verpflichtungserklärungen nach §§ 1708, 1715 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und Erklärungen nach §§ 1713, 1720 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu beurkunden und die in § 1706 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Erklärungen zu beglaubigen. (2) Aus Urkunden, welche die Verpflichtung zur Erfüllung von Ansprüchen nach §§ 1708, 1715 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Gegenstand haben und die von einem Beamten oder Angestellten des Jugendamts innerhalb der Grenzen seiner Amtsbefugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind, findet die Zwangsvollstreckung statt, wenn die Erklärung die Zahlung einer bestimmten Geldsumme betrifft und der Schuldner sich in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Auf die Zwangsvollstreckung sind die Vorschriften, welche für die Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen Urkunden nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozeßordnung gelten, mit folgenden Maßgaben entsprechend anzuwenden: 1. Die vollstreckbare Ausfertigung wird von dem Beamten oder Angestellten des Jugendamts erteilt, der für die Beurkundung der Verpflichtungserklärung zuständig ist; 2. über Einwendungen, welche die Zulässig-keit der Vollstreckungsklausel betreffen, und über die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung entscheidet das für das Jugendamt zuständige Amtsgericht. (3) Auf die Beurkundung sind die §§ 168 bis 180 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden. Sie ist gebührenfrei. § 50 (1) Das Jugendamt soll die Bestellung einer Einzelperson als Vormund beantragen, wenn dies dem Interesse des Mündels förderlich erscheint. Es kann auch die Bestellung eines Mitvormundes für einen bestimmten Wirkungskreis beantragen. (2) Die Bestellung kann von einem jeden, der ein berechtigtes Interesse des Mündels geltend macht, und von diesem selbst, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, beantragt werden. Sie kann auch von Amts wegen erfolgen. Vor der Entscheidung soll das Vormundschaftsgericht das Jugendamt und tunlichst die Mutter des Mündels hören. § 51 Das Jugendamt hat die Vormünder, Beistände und Pfleger seines Bezirks planmäßig zu beraten und bei der Ausübung ihres Amts zu unterstützen. Die näheren Bestimmungen hierüber werden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 getroffen. § 18 gilt entsprechend. 3. Mitvormundschaft, Gegenvormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft des Jugendamts § 52 Die vorstehenden Bestimmungen gelten entsprechend für die Bestellung des Jugendamts zum Mitvormund, Gegenvormund, Pfleger oder Beistand und für die Übertragung einzelner Rechte und Pflichten eines Vormundes auf das Jugendamt. 1214 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I 4. Vereinsvormundschaft § 53 (1) Rechtsfähige Vereine, die vom Landesjugendamt für geeignet erklärt sind, können auf ihren Antrag zu Vormündern, Pflegern oder Beiständen bestellt werden. Ihnen können einzelne Rechte und Pflichten des Vormundes übertragen werden, wenn sie den Antrag darauf beschränken. Das Jugendamt muß in den Fällen, in denen es Vormund des Minderjährigen ist, vorher gehört werden. (2) Der Verein bedient sich bei der Ausübung der vormundschaftlichen Obliegenheiten einzelner seiner Mitglieder. Dies ist nicht zulässig, wenn das Mitglied den Minderjährigen in einem Heim des Vereins als Erzieher betreut. (3) Für ein Verschulden eines Mitglieds ist der Verein dem Mündel in gleicher Weise verantwortlich wie für ein Verschulden eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters. (4) Auf die Vereinsvormundschaft finden die §§38, 45, 46 und 50 mit der Maßgabe Anwendung, daß ein Gegenvormund bestellt werden kann. § 54 (1) Artikel 136 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und die §§ 1783, 1887 des Bürgerlichen Gesetzbuchs werden aufgehoben. Dem § 1784 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird folgender Absatz 2 angefügt: "Diese Erlaubnis darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger dienstlicher Grund vorliegt." (2) Dem § 1786 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs werden die Worte hinzugefügt: "welche zwei und mehr noch nicht schulpflichtige Kinder besitzt oder glaubhaft macht, daß die ihr obliegende Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes dauernd besonders erschwert." Abschnitt VI Erziehungsbeistandschaft, Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung 1. Erziehungsbeistandschaft § 55 Für einen Minderjährigen, dessen leibliche, geistige oder seelische Entwicklung gefährdet oder geschädigt ist, ist ein Erziehungsbeistand zu bestellen, wenn diese Maßnahme zur Abwendung der Gefahr oder zur Beseitigung des Schadens geboten und ausreichend erscheint. § 56 (1) Das Jugendamt bestellt den Erziehungsbeistand auf Antrag der Personensorgeberechtigten. (2) Der Erziehungsbeistand ist durch eine andere Person zu ersetzen, wenn es das Wohl des Minderjährigen erfordert. § 57 (1) Liegen die Voraussetzungen des § 55 vor, wird aber ein Erziehungsbeistand nicht nach § 56 bestellt, so ordnet das Vormundschaftsgericht die Bestellung an. Der Erziehungsbeistand ist sodann | vom Jugendamt zu bestellen. § 56 Abs. 2 ist anzuwenden. (2) Das Vormundschaftsgericht entscheidet von Amts wegen oder auf Antrag. Antragsberechtigt ist jeder Personensorgeberechtigte und das Jugendamt. (3) Vor der Beschlußfassung sind die Antragsberechtigten und der Minderjährige zu hören, soweit sie erreichbar sind. (4) Der Beschluß des Vormundschaftsgerichts ist den in Absatz 2 Satz 2 Genannten und dem Minderjährigen, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, bekanntzugeben. Die Begründung des Beschlusses ist dem Minderjährigen nicht mitzuteilen, soweit sich aus ihrem Inhalt Nachteile für seine Erziehung ergeben können. (5) Hat ein Vormundschaftsgericht entschieden, in dessen Bezirk der Minderjährige nicht seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, so soll die Sache auf Antrag des Jugendamts gemäß § 46 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen, an das Vormundschaftsgericht abgegeben werden, in dessen Bezirk der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. § 58 (1) Der Erziehungsbeistand unterstützt die Personensorgeberechtigten bei der Erziehung. Er steht dem Minderjährigen mit Rat und Hilfe zur Seite und berät ihn auch bei Verwendung seines Arbeitsverdienstes. Er hat bei der Ausübung seines Amts das Recht auf Zutritt zu dem Minderjährigen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (2) Der Erziehungsbeistand hat dem Jugendamt und, falls er auf Grund eines Beschlusses des Vormundschaftsgerichts bestellt ist, auch dem Vormundschaftsgericht auf Verlangen zu berichten. Er hat jeden Umstand unverzüglich mitzuteilen, der Anlaß geben könnte, weitere erzieherische Maßnahmen zu treffen. § 59 Die Personensorgeberechtigten, der Arbeitgeber, die Lehrer und Personen, bei denen sich der Minderjährige nicht nur vorübergehend aufhält, sind verpflichtet, dem Erziehungsbeistand Auskunft zu geben. § 60 Das Jugendamt hat den Erziehungsbeistand zu beraten und bei seiner Tätigkeit zu unterstützen. § 61 (1) Die Erziehungsbeistandschaft endet mit der Volljährigkeit. (2) Die Erziehungsbeistandschaft ist aufzuheben, wenn der Erziehungszweck erreicht oder die Erreichung des Erziehungszwecks anderweitig sichergestellt ist. Sie ist insbesondere aufzuheben, wenn die Ausführung der Freiwilligen Erziehungshilfe oder der Fürsorgeerziehung beginnt. Sie ist ferner aufzuheben, wenn im Fall des § 56 Abs. 1 ein Per- I sonensorgeberechtigter die Aufhebung beantragt. Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1215 Für die Aufhebung ist in den Fällen des § 56 Abs. 1 das Jugendamt, in den übrigen Fällen das Vormundschaftsgericht zuständig. 2. Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung § 62 Einem Minderjährigen, der das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und dessen leibliche, geistige oder seelische Entwicklung gefährdet oder geschädigt ist, ist Freiwillige Erziehungshilfe zu gewähren, wenn diese Maßnahme zur Abwendung der Gefahr oder zur Beseitigung des Schadens geboten ist und die Personensorgeberechtigten bereit sind, die Durchführung der Freiwilligen Erziehungshilfe zu fördern. § 63 Das Landesjugendamt gewährt Freiwillige Erziehungshilfe auf schriftlichen Antrag der Personensorgeberechtigten. Der Antrag ist bei dem Jugendamt zu stellen. Das Jugendamt nimmt zu dem Antrag Stellung. § 64 Das Vormundschaftsgericht ordnet für einen Minderjährigen, der das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Fürsorgeerziehung an, wenn sie erforderlich ist, weil der Minderjährige zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist. Fürsorgeerziehung darf nur angeordnet werden, wenn keine ausreichende andere Erziehungsmaßnahme gewährt werden kann. § 65 (1) Das Vormundschaftsgericht entscheidet von Amts wegen oder auf Antrag. Antragsberechtigt sind das Jugendamt, das Landesjugendamt und jeder Personensorgeberechtigte. Der Kreis der Antragsberechtigten kann durch Landesrecht erweitert werden. (2) Vor der Entscheidung sind die Antragsberechtigten und der Minderjährige zu hören. Das Vormundschaftsgericht soll die Personensorgeberechtigten und den Minderjährigen mündlich anhören, soweit dies ohne erhebliche Schwierigkeiten geschehen kann. Der Kreis der Anzuhörenden kann durch Landesrecht erweitert werden. (3) Der Beschluß ist mit Gründen zu versehen. Er ist den Antragsberechtigten und, wenn Fürsorgeerziehung angeordnet wird, dem Minderjährigen, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, zuzustellen. § 57 Abs. 4 Satz 2 ist anzuwenden. (4) Gegen den Beschluß steht den in Absatz 3 Satz 2 Genannten die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zu. (5) § 57 Abs. 5 ist anzuwenden. § 66 (1) Das Vormundschaftsgericht kann im Verfahren nach § 64 zur Beurteilung der Persönlichkeit des Minderjährigen die Untersuchung durch einen Sachverständigen anordnen. (2) Zur Vorbereitung des Sachverständigengutachtens kann das Vormundschaftsgericht die Unterbringung des Minderjährigen bis zu sechs Wochen in einer für die pädagogische, medizinische oder psychologische Beobachtung und Beurteilung geeigneten Einrichtung anordnen. Erweist sich diese Zeit als nicht ausreichend, so kann das Vormundschaftsgericht die Unterbringung durch Beschluß verlängern. Die Dauer der Unterbringung darf insgesamt drei Monate nicht überschreiten. Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (3) Gegen einen Beschluß nach Absatz 1 und 2 steht den nach § 65 Abs. 1 Satz 2 und 3 Antragsberechtigten die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zu. § 67 (1) Bei Gefahr im Verzuge kann das Vormundschaftsgericht die vorläufige Fürsorgeerziehung anordnen. (2) Gegen die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung steht den nach § 65 Abs. 1 Satz 2 und 3 Antragsberechtigten und dem Minderjährigen, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, die sofortige Beschwerde zu. Sie hat keine aufschiebende Wirkung. § 18 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anzuwenden. (3) Die vorläufige Fürsorgeerziehung kann neben einer Unterbringung nach § 66 Abs. 2 angeordnet werden. (4) Ist die vorläufige Fürsorgeerziehung angeordnet, so kann die endgültige Fürsorgeerziehung auch noch angeordnet werden, nachdem der Minderjährige das 20. Lebensjahr vollendet hat. (5) Die Anordnung ist aufzuheben, wenn das Vormundschaftsgericht die Anordnung der endgültigen Fürsorgeerziehung ablehnt oder innerhalb von sechs Monaten keinen die Fürsorgeerziehung anordnenden Beschluß erlassen hat. § 68 (1) Das Vormundschaftsgericht kann das Verfahren auf Anordnung der Fürsorgeerziehung durch Beschluß bis zu einem Jahr aussetzen. Die Aussetzung kann aus besonderen Gründen durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts auf höchstens ein weiteres Jahr verlängert werden. Eine vorläufige Fürsorgeerziehung ist durch die Aussetzung aufgehoben, über das vollendete 20. Lebensjahr hinaus kann das Verfahren nicht ausgesetzt werden. (2) Gegen die Aussetzung steht den nach § 65 Abs. 1 Satz 2 und 3 Antragsberechtigten die sofortige Beschwerde zu. (3) Für die Dauer der Aussetzung hat das Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Erziehungsbeistands anzuordnen. § 69 (1) Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung werden vom Landesjugendamt unter Beteiligung des Jugendamts ausgeführt. 1216 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I (2) Die Fürsorgeerziehung ist mit Rechtskraft, die vorlaufige Fürsorgeerziehung mit Erlaß des Beschlusses ausführbar. (3) Die Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorgeerziehung werden unter Aufsicht des Landesjugendamts in der Regel in einer geeigneten Familie oder in einem Heim durchgeführt. Eine nicht nur vorläufig angeordnete Fürsorgeerziehung kann widerruflich in der eigenen Familie des Minderjährigen unter Aufsicht des Landesjugendamts fortgesetzt werden, wenn dadurch ihr Zweck nicht gefährdet wird. Die Aufsicht erstreckt sich darauf, daß das leibliche, geistige und seelische Wohl des Minderjährigen gewährleistet ist. (4) Bei Ausführung der Fürsorgeerziehung gilt das Landes] agendamt für alle Rechtsgeschäfte, welche die Eingehung, Änderung oder Aufhebung eines Arbeits- oder Berufsausbildungsverhältnisses oder die Geltendmachung der sich aus einem solchen Rechtsverhältnis ergebenden Ansprüche betreffen, als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen. Es ist auch befugt, den Arbeitsverdienst und die Renten des Minderjährigen zu verwalten und für ihn zu verwenden. (5) Bei Ausführung der Fürsorgeerziehung ist das Landesjugendamt befugt, die Entmündigung eines Minderjährigen wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zu beantragen. § 70 Die Fürsorgeerziehung eines Minderjährigen ist von dem Landesjugendamt auszuführen, in dessen Bezirk das Vormundschaftsgericht seinen Sitz hat. Wird die Fürsorgeerziehung vom Jugendgericht angeordnet, so ist sie von dem Landesjugendamt auszuführen, das zuständig wäre, wenn das Vormundschaftsgericht die Fürsorgeerziehung angeordnet hätte. § 71 (1) Das Landes Jugendamt bestimmt den Aufenthalt des Minderjährigen. Für die Unterbringung in Fürsorgeerziehung werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) und der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) insoweit eingeschränkt. (2) Der Minderjährige soll in einer Familie oder einem Heim untergebracht werden, in denen die Erziehung nach den Grundsätzen seiner Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft durchgeführt wird. Davon kann abgesehen werden, wenn eine geeignete Familie oder ein geeignetes Heim nicht vorhanden ist oder besondere erzieherische Bedürfnisse des Minderjährigen es erfordern; seine religiöse Betreuung muß gesichert sein. (3) Minderjährige, die keiner Kirche oder sonstigen Religionsgesellschaft und keiner Welt-anschauungsgemeinschaft angehören, sollen nach Möglichkeit nur mit Einverständnis der Personensorgeberechtigten oder, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur mit ihrem Einverständnis in einer Familie oder einem Heim untergebracht werden, in denen die Erziehung nach den Grundsätzen einer bestimmten Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft durchgeführt wird. (4) Den Personensorgeberechtigten ist unverzüglich mitzuteilen, wo der Minderjährige untergebracht ist. Auch die Eltern, denen das Sorgerecht nicht zusteht, sind zu unterrichten, soweit sie erreichbar sind. Das Vormundschaftsgericht kann auf Antrag des Landesjugendamts anordnen, daß der Unterbringungsort nicht mitzuteilen ist, wenn durch die Mitteilung der Erziehungszweck ernstlich gefährdet wird. Gegen den anordnenden Beschluß steht den Personensorgeberechtigten und den Eltern die Beschwerde zu. Gegen den ablehnenden Beschluß steht die Beschwerde mit aufschiebender Wirkung dem Landesjugendamt zu. (5) Ist Fürsorgeerziehung angeordnet, so ist auch dem Vormundschaftsgericht der Ort der Unterbringung mitzuteilen. . § 72 Das Landes Jugendamt soll zur Durchführung der Freiwilligen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung für die erforderliche Differenzierung der Einrichtungen und Heime nach der zu leistenden Erziehungsaufgabe sorgen. § 73 Ist Fürsorgeerziehung angeordnet, so hat das Landesjugendamt dem Vormundschaftsgericht über die Entwicklung des Minderjährigen und die Aussichten, die Fürsorgeerziehung aufzuheben, jährlich mindestens einmal zu berichten. § 74 (1) Das Nähere über die Ausführung der Freiwilligen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung wird durch Landesrecht geregelt. (2) Die Landesregierung kann in einem Land, in dem am 1. Januar 1961 eine andere landesrechtliche Regelung bestand, die Zuständigkeit der Landesjugendämter nach diesem Abschnitt anderen Behörden übertragen. § 75 (1) Die Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorgeerziehung enden mit der Volljährigkeit. (2) Die Freiwillige Erziehungshilfe oder die Fürsorgeerziehung ist aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht oder anderweitig sichergestellt ist. Erfordern erhebliche, fachärztlich nachgewiesene geistige oder seelische Regelwidrigkeiten des Minderjährigen eine andere Form der Hilfe, so ist die Freiwillige Erziehungshilfe oder die Fürsorgeerziehung erst aufzuheben, wenn die andere Form der Hilfe gesichert ist. Die Fürsorgeerziehung kann auch unter Vorbehalt des Widerrufs aufgehoben werden. (3) Die Freiwillige Erziehungshilfe ist vom Landesjugendamt unverzüglich aufzuheben, wenn ein Personensorgeberechtigter die Aufhebung beim Landesjugendamt beantragt. (4) Die Fürsorgeerziehung wird durch das Vormundschaftsgericht von Amts wegen oder auf Antrag aufgehoben Der Antrag kann von den nach Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1217 § 65 Abs. 1 Salz 2 und 3 Antra gsberechligten und von dem Minderjährigen selbst, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, gestellt werden. (5) Das Vormundschaftsgericht hat vor der Aufhebung der Fürsorgeerziehung das Landesjugendamt und das Jugendamt zu hören. Dem Landesjugendamt steht gegen den die Fürsorgeerziehung aufhebenden Beschluß die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zu. Wird die Aufhebung abgelehnt, so steht jedem Antragsberechtigten die Beschwerde zu. (6) Durch Landesrecht kann bestimmt werden, daß für die Entscheidung über die Aufhebung der Fürsorgeerziehung nach Absatz 4 an Stelle des Vormundschaftsgerichts das Landesjugendamt zuständig ist mit der Maßgabe, daß der Antragsteller gegen die Ablehnung des Antrags innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des ablehnenden Bescheides die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts anrufen kann; gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts findet die sofortige Beschwerde statt. § 76 Das gerichtliche Verfahren ist kostenfrei. Die nach § 65 Abs. 2 Satz 2 und 3 mündlich zu hörenden Personen werden entsprechend den für Zeugen geltenden Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 861, 902) entschädigt; dies gilt nicht für den Minderjährigen und seine Eltern sowie für Behördenvertreter. § 77 (1) Für eilige, auf Grund dieses Abschnitts zu treffende Maßregeln ist neben dem in § 43 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bezeichneten Gericht einstweilen auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt. Das Gericht hat die angeordneten Maßnahmen unverzüglich dem endgültig zuständigen Gericht mitzuteilen; dieses wird damit ausschließlich zuständig. (2) § 43 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist auch anzuwenden, wenn eine Maßnahme des Vormund-schaftsgerichts für einen Minderjährigen erforderlich wird, für den eine Erziehungsbeistandschaft oder ein Fürsorgeerziehungsverfahren anhängig ist. Abschnitt VII Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen § 78 (1) Das Landesjugendamt führt die Aufsicht über Heime und andere Einrichtungen, in denen Minderjährige dauernd oder zeitweise, ganztägig oder für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, betreut werden oder Unterkunft erhalten. Satz 1 gilt nicht für Jugendbildungs-, Jugendfreizeitstätten und Studentenwohnheime sowie für Schülerwohnheime, soweit sie landesgesetzlich der Schulaufsicht unterstehen. (2) Die Aufsicht erstreckt sich darauf, daß in den Einrichtungen das leibliche, geistige und seelische Wohl der Minderjährigen gewährleistet ist. Die Selbständigkeit der Träger der Einrichtungen in Zielsetzung und Durchführung ihrer erzieherischen Aufgaben bleibt unberührt, sofern das Wohl der Minderjährigen nicht gefährdet wird. (3) In den der Heimaufsicht unterliegenden Einrichtungen muß die Betreuung der Minderjährigen durch geeignete Kräfte gesichert sein, über die Voraussetzungen der Eignung sind Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe anzustreben. (4) Der Träger der Einrichtung hat dem Landesjugendamt zu melden 1. Personalien und Art der Ausbildung des Leiters und der Erzieher der Einrichtung, 2. jährlich die Platzzahl und ihre Änderung, 3. die Änderung der Zweckbestimmung der Einrichtung, 4. unverzüglich unter Angabe der Todesursache den Todesfall eines in einer Einrichtung nach Absatz 1 betreuten Minderjährigen. (5) Das Landesjugendamt soll die Einhaltung der Vorschriften der Absätze 3 und 4 in den seiner Aufsicht unterliegenden Einrichtungen regelmäßig an Ort und Stelle überprüfen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. Das Landesjugendamt soll das Jugendamt und einen zentralen Träger der freien Jugendhilfe, wenn diesem der Träger der Einrichtung angehört, bei der Überprüfung zuziehen. (6) Einem zentralen Träger der freien Jugendhilfe kann auf Antrag die Überprüfung von Einrichtungen eines ihm angehörenden Trägers widerruflich übertragen werden, wenn dieser dem Antrag zustimmt. (7) Die oberste Landesbehörde kann den Betrieb von Einrichtungen, die der Heimaufsicht unterliegen, vorübergehend oder auf die Dauer untersagen, wenn Tatsachen festgestellt werden, die geeignet sind, das leibliche, geistige oder seelische Wohl der in der Einrichtung betreuten Minderjährigen zu gefährden und eine unverzügliche Beseitigung der Gefährdung nicht zu erwarten ist. (8) Das Nähere wird durch Landesrecht bestimmt. Nach Landesrecht bestimmt sich auch, ob und gegebenenfalls inwieweit Studentenwohnheime einer Aufsicht unterliegen. § 79 (1) Die §§28 bis 33 und 35 über den Schutz der Pflegekinder sind auf Minderjährige unter 16 Jahren entsprechend anzuwenden, die dauernd oder zeitweise, ganztägig oder für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, in Einrichtungen, die der Heimaufsicht nach § 78 Abs. 1 unterliegen, betreut werden oder Unterkunft erhalten. An die Stelle des Jugendamts tritt das Landesjugendamt; die Aufsichtsbefugnisse werden durch Landesrecht geregelt. An der Wahrnehmung der Aufgaben kann das Jugendamt beteiligt werden. 1218 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil I (2) Das Landes Jugendamt kann Einrichtungen von der Anwendung des § 28 widerruflich befreien. Die Befreiung kann nur versagt werden, wenn das Landes Jugendamt Tatsachen feststellt, die die Eignung einer Einrichtung zur Pflege und Erziehung Minderjähriger unter 16 Jahren ausschließen. Abschnitt VIII Kostentragung bei Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige § 80 Die Bestimmungen dieses Abschnitts gelten für Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige nach § 4 oder 5, soweit diese Leistungen von den Organen der öffentlichen Jugendhilfe gewährt werden. § 81 (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die für die Gewährung der Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige zuständig sind, tragen die Kosten der Hilfe, soweit dem Minderjährigen und seinen Eltern die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist. (2) Abschnitt 4 des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. Juni 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 815) mit Ausnahme der §§ 80, 81 und 86 ist entsprechend anzuwenden, soweit in den folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt wird. Der Familienzuschlag nach § 79 des Bundessozialhilfegesetzes erhöht sich auf achtzig Deutsche Mark bei Hilfen zur Erziehung für Minderjährige, die in einer Familie außerhalb des Elternhauses, in Heimen oder anderen Einrichtungen untergebracht sind. (3) Landesrecht kann bestimmen, ob und inwieweit Hilfen nach § 5 unabhängig davon gewährt werden, ob dem Minderjährigen und seinen Eltern die Aufbringung der Kosten zuzumuten ist. (4) Zu allgemeinen Verwaltungskosten werden der Minderjährige und seine Eltern nicht herangezogen. Landesrecht kann bestimmen, inwieweit sie zu den Kosten für den zur Erziehung erforderlichen Personalbedarf herangezogen werden können. § 82 Für die Überleitung von Ansprüchen gegen Dritte und für die Inanspruchnahme eines nach bürgerlichem Recht Unterhaltsverpflichteten sind die §§90 und 91 des Bundessozialhilfegesetzes entsprechend anzuwenden. § 83 (1) Wird die Hilfe zur Erziehung von einem Jugendamt gewährt, dessen Zuständigkeit auf § 11 Satz 2 beruht, so sind die §§ 103 bis 113 des Bundessozialhilfegesetzes für die Kostenerstattung zwischen öffentlichen Trägern entsprechend anzuwenden. (2) Landesrecht bestimmt, wer für dieses Gesetz überörtliche Träger im Sinne der §§ 106 und 108 des Bundessozialhilfegesetzes ist. § 84 (1) Werden zur Durchführung von Hilfen zur Erziehung Einrichtungen von Trägern der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen, sind Vereinbarungen über die von den öffentlichen Kostenträgern zu erstattenden Kosten anzustreben, soweit darüber keine landesrechtlichen Vorschriften bestehen. (2) Die Bundesregierung kann im Falle des Absatzes 1 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, welche Kostenbestandteile bei den zu. erstattenden Kosten zu berücksichtigen sind. § 85 (1) Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung werden unabhängig davon gewährt, ob dem Minderjährigen und seinen Eltern die Aufbringung der Kosten zuzumuten ist. Soweit es ihnen zuzumuten ist, haben sie zu den Kosten beizutragen. Das Nähere zu Satz 2 wird durch Landesrecht bestimmt. (2) Die Aufbringung der öffentlichen Mittel ist durch Landesrecht für die Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorgeerziehung nach einheitlichen Grundsätzen zu bestimmen. (3) Die Kosten der vorläufigen Fürsorgeerziehung fallen dem Kostenträger zur Last, der die Kosten einer endgültig angeordneten Fürsorgeerziehung zu tragen hat, und zwar auch dann, wenn die Fürsorgeerziehung endgültig nicht angeordnet worden ist. (4) Im Sinne dieser Vorschrift rechnen die Kosten einer Unterbringung nach § 66 Abs. 2 zu den Kosten der Fürsorgeerziehung, wenn die vorläufige oder endgültige Fürsorgeerziehung angeordnet worden ist. Abschnitt IX Straftaten und Ordnungswidrigkeiten § 86 (1) Wer einen Minderjährigen 1. dem eingeleiteten gerichtlichen Verfahren auf Anordnung der Fürsorgeerziehung oder der angeordneten Fürsorgeerziehung oder 2. der gewährten Freiwilligen Erziehungshilfe gegen den Willen der Personensorgeberechtigten entzieht oder ihn verleitet, sich zu entziehen oder ihm dabei hilft, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht nach § 120, 122 b oder 235 des Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht ist. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Die Tat wird nur auf Antrag des Landesjugendamts oder der nach § 74 Abs. 2 zuständigen Behörde verfolgt. § 87 Wer ein Heim oder eine Einrichtung für sich oder einen anderen fortführt oder fortführen läßt, obwohl deren Betrieb ihm oder dem anderen durch eine Nr. 64 – Tag der Ausgabe: Bonn, den 16. August 1961 1219 nach § 78 Abs. 7 erlassene vollziehbare Verfügung der obersten Landesbehörde untersagt ist, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 88 (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. ein Pflegekind ohne die nach § 28 erforder-. liehe Erlaubnis aufnimmt oder in Pflege behält, 2. eine nach § 32 erforderliche Anzeige nicht, nicht unverzüglich oder unrichtig erstattet. (2) Ordnungswidrig handelt ferner, wer als Inhaber oder Leiter eines Heimes oder einer anderen Einrichtung 1. einen Minderjährigen unter 16 Jahren ohn_ die nach § 79 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 erforderliche Erlaubnis betreut oder ihm Unterkunft gewährt oder 2. eine nach § 79 Abs. 1 in Verbindung mit § 32 erforderliche Anzeige nicht, nicht unverzüglich oder unrichtig erstattet. (3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden. Schlußbestimmung § 89 Welche Behörden die in diesem Gesetz der obersten Landesbehörde oder dem Landesjugendamt übertragenen einzelnen Aufgaben wahrzunehmen haben, bestimmt die Landesregierung.