Bekanntmachung des deutsch-tschechoslowakischen Abkommens zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz
Nr. 37 - Tag der Ausgabe: Bonn, den 10. Oktober 1990
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Bekanntmachung
des deutsch-tschechoslowakischen Abkommens
zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses
Im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz
Vom 17. August 1990
Das in Prag am 30. Mai 1990 unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz ist nach seinem Artikel 9 Abs. 1
am 2. August 1990
in Kraft getreten.
Das Abkommen - einschließlich eines nach Artikel 3 Abs. 4 erfolgten Notenwechsels - wird nachstehend veröffentlicht.
Bonn, den 17. August 1990
Der Bundesminister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Auftrag
Dr. Hohlefelder
Abkommen
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik
zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses
im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und
die Regierung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik -
von dem Wunsch geleitet, die beiderseitigen Beziehungen in Übereinstimmung mit dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, insbesondere im Hinblick auf seinen Artikel V, weiter zu entwickeln,
eingedenk der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 1. August 1975 und der Abschließenden Dokumente des Madrider und des Wiener Treffens,
ausgehend von dem in Wien unterzeichneten Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen,
in dem Bewußtsein, daß der allgemeine und frühzeitige Infor-mations- und Erfahrungsaustausch über kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz insbesondere zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung beider Seiten beiträgt -
sind wie folgt übereingekommen:
Geltungsbereich
Artikel 1
Dieses Abkommen gilt für Kernanlagen und Tätigkeiten; darunter sind zu verstehen:
a) Kernreaktoren
b) Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufs
c) Anlagen zur Behandlung radioaktiver Abfälle
d) Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen.
Informations- und Erfahrungsaustausch Artikel 2
(1) Beide Seiten unterrichten einander über die Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kemenergie und über ihre Rechtsvorschriften zur kerntechnischen Sicherheit und zum Strahlenschutz.
(2) Beide Seiten unterrichten einander über ihre Erfahrungen aus dem Betrieb ihrer Kernanlagen einschließlich der Sicherheitssysteme und des Strahlenschutzes.
(3) Beide Seiten tauschen regelmäßig einmal im Jahr die Ergebnisse der von der jeweiligen Seite festgelegten Meßprogramme für die Emissions- und Immissionsüberwachung von
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Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1990, Teil II
Kernanlagen sowie der Radioaktivitätsüberwachung der Umwelt aus.
Artikel 3
(1) Beide Seiten unterrichten sich gegenseitig über grenznahe Kernanlagen und machen sich die dazu geeigneten Unterlagen zugänglich.
(2) Informationen nach Absatz 1 werden für geplante Kernanlagen so rechtzeitig gegeben, daß etwaige Stellungnahmen berücksichtigt werden können.
(3) Die Unterrichtung nach den Absätzen 1 und 2 mit den dazu geeigneten Unterlagen betrifft Kernanlagen in einem Bereich bis zu 30 km beiderseits der gemeinsamen Grenze.
(4) Auf begründeten Wunsch einer Seite kann die Unterrichtung nach Absatz 1 auch für Kernanlagen außerhalb des Bereichs von 30 km beiderseits der gemeinsamen Grenze stattfinden. Beide Seiten werden sich die betreffenden Anlagen auf diplomatischem Weg mitteilen.
Frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen
Artikel 4
(1) Beide Seiten benachrichtigen sich gegenseitig unverzüglich über Unfälle, die Kernanlagen oder Tätigkeiten nach Artikel 1 dieses Abkommens betreffen, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt werden oder werden können. Eine solche Unterrichtung erfolgt bei Gefahr einer grenzüberschreitenden radiologischen Auswirkung auf das Gebiet der anderen Seite spätestens zu einem Zeitpunkt, in dem Maßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung eingeleitet werden.
(2) Die nach Absatz 1 zu übermittelnden Informationen umfassen folgende Angaben:
a) den Zeitpunkt, gegebenenfalls den genauen Ort und die Art des nuklearen Unfalls;
b) die betroffene Anlage oder Tätigkeit;
c) die vermutete oder festgestellte Ursache und die vorhersehbare Entwicklung des nuklearen Unfalls in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung radioaktiver Stoffe;
d) die allgemeinen Merkmaie der radioaktiven Freisetzung einschließlich, soweit durchführbar und angemessen, der Art, wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form und der Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der radioaktiven Freisetzung;
e) Informationen über die derzeitigen und vorhergesagten meteorologischen und hydrologischen Bedingungen, die zur Vorhersage der grenzüberschreitenden Freisetzung der radioaktiven Stoffe erforderlich sind;
f) die Ergebnisse der Umweltüberwachung in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung der radioaktiven Stoffe;
g) die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen außerhalb der betroffenen Anlage;
h) die Vorhersage über das Verhalten der radioaktiven Freisetzung im weiteren Verlauf.
(3) Die Benachrichtigung erfolgt auf direktem Weg. Hierzu geben beide Seiten einander die für die Benachrichtigung zuständigen Kontaktstellen bekannt.
(4) Beide Seiten benachrichtigen sich auf gleichem Weg über von ihnen gemessene ungewöhnlich erhöhte Werte der Radioaktivität in anderen als in Absatz 1 genannten Fällen.
(5) Auf Wunsch einer Seite übermittelt die andere Seite, über den in Absatz 2 festgelegten Umfang der zu übermittelnden Informationen hinaus, weitere zur Beurteilung der eingetretenen Situation verfügbare Angaben.
Allgemeine Bestimmungen
Artikel 5
(1) In Durchführung dieses Abkommens finden Konsultationen periodisch, mindestens einmal im Jahr, und bei besonderen Anlässen statt.
(2) Der Inhalt der Gespräche und ausgetauschte Unterlagen können ohne Einschränkungen genutzt werden, es sei denn, sie wurden von der übermittelnden Seite vertraulich gegeben. Vertrauliche Informationen und Unterlagen dürfen nur denjenigen Stellen zugänglich gemacht werden, die sie zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung benötigen. Eine darüber hinaus vorgesehene Weitergabe vertraulicher Informationen und Unterlagen an Dritte bedarf des gegenseitigen Einverständnisses.
Artikel 6
(1) Jede Seite benennt einen Koordinator.
(2) Der Austausch aller im Rahmen der Zusammenarbeit nach den Artikeln 2 und 3 zu übermittelnden Unterlagen und Informationen erfolgt über die Koordinatoren, soweit im Einzelfall kein besonderer Informationsweg in Betracht kommt. Einzelheiten des Verfahrens werden zwischen den Koordinatoren geregelt.
Artikel 7
Für die Kosten, die durch die gegenseitige Information verursacht werden, machen beide Seiten keine Erstattungsansprüche geltend. Falls die Beschaffung von Unterlagen mit erheblichen Kosten verbunden ist, hat die ersuchende Seite diese zu tragen.
Artikel 8
Entsprechend dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 wird dieses Abkommen in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren auf Berlin (West) ausgedehnt.
Artikel 9
(1) Dieses Abkommen tritt an dem Tag in Kraft, an dem beide Seiten einander notifiziert haben, daß die erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.
(2) Dieses Abkommen wird für unbegrenzte Zeit geschlossen. Es kann von jeder Seite mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich gekündigt werden.
Geschehen zu Prag am 30. Mai 1990 in zwei Urschriften, jede in deutscher und tschechischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.
Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
Hermann Huber
Clemens Stroetmann
Für die Regierung der Tschechischen
und Slowakischen Föderativen Republik
Zdenko Pirek
Nr. 37 - Tag der Ausgabe: Bonn, den 10. Oktober 1990
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Der Botschafter Prag, den 30. Mai 1990
der Bundesrepublik Deutschland
Velvyslanec Spolkove republiky Nemecko
Herr Minister,
ich beehre mich, Ihnen im Namen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Bezugnahme auf Artikel 3 Absatz 4 des heute zwischen unseren beiden Regierungen geschlossenen Abkommens zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz mitzuteilen, daß entsprechend einem Wunsch Ihrer Seite Artikel 3 Absatz 1 dieses Abkommens auch auf das auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in Betrieb befindliche Kernkraftwerk Isar angewendet wird.
Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Hermann Huber
Seiner Exzellenz
dem stellvertretenden Minister
für Auswärtige Angelegenheiten der
Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik
Herrn Zdenko Pirek
Prag
Der Stellvertretende Minister Prag, den 30. Mai 1990
für Auswärtige Angelegenheiten
der
Tschechischen und Slowakischen
Föderativen Republik
Herr Botschafter,
ich beehre mich, Ihnen im Namen der Regierung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik unter Bezugnahme auf Artikel 3 Absatz 4 des heute zwischen unseren beiden Regierungen geschlossenen Abkommens zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz mitzuteilen, daß entsprechend einem Wunsch Ihrer Seite Artikel 3 Absatz 1 dieses Abkommens auf das auf dem Gebiet der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik im Bau befindliche Kernkraftwerk Temelin angewendet wird.
Genehmigen Sie, Herr Botschafter, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Zdenko Pirek
Seiner Exzellenz dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Herrn Hermann Huber
Prag