Bundesgesetzblatt  Bundesgesetzblatt Teil I  1974  Nr. 63 vom 21.06.1974  - Seite 1297 bis 1300 - Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts (5. StrRG) Bundesgesetzblatt 1297 Teill Z1997A 1974 Ausgegeben zu Bonn am 21. Juni 1974 Nr. 63 Tag Inhalt 18. 6. 74 Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts (5. StrRG).................................. 450-2, 312-2, 453-6, 453-6-1, 453-6 c 19.6.74 Verordnung über die Kennzeichnung wärmebehandelter Konsummilch (Konsummilch-Kennzeichnungs-Verordnung) ........................................................ 7842-2-1, 7842-2-5, 2125-4-10, 7141-6-1-4 Seite 1297 1301 Hinweis auf andere Verkündungsblätter Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften ........... 1305 Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts (5. StrRG) Vom 18. Juni 1974 Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Änderung des Strafgesetzbuches Die §§ 218 bis 220 des Strafgesetzbuches werden durch folgende Vorschriften ersetzt: "§218 Abbruch der Schwangerschaft (1) Wer eine Schwangerschaft später als am dreizehnten Tage nach der Empfängnis abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn der Täter 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht. Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1 Nr. 2). (3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. (4) Der Versuch ist strafbar. Die Frau wird nicht wegen Versuchs bestraft. §218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht nach § 218 strafbar, wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen sind. § 218b Indikation zum Schwangerschaftsabbruch nach zwölf Wochen Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt nach Ablauf von zwölf Wochen seit der Empfängnis vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht nach § 218 strafbar, wenn nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft 1. der Schwangerschaftsabbruch angezeigt ist, um von der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden, sofern die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann, oder 2. dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, daß 1298 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1974, Teil I von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. § 218 c Abbruch der Schwangerschaft ohne Unterrichtung und Beratung der Schwangeren (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß die Schwangere 1. sich wegen der Frage des Abbruchs ihrer Schwangerschaft vorher an einen Arzt oder eine hierzu ermächtigte Beratungsstelle gewandt hat und dort über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder unterrichtet worden ist, insbesondere über solche Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern, und 2. ärztlich beraten worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht nach § 218 strafbar ist. (2) Die Frau, an der der Eingriff vorgenommen wird, ist nicht nach Absatz 1 strafbar. §219 Abbruch der Schwangerschaft ohne Begutachtung (1) Wer nach Ablauf von zwölf Wochen seit der Empfängnis eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß eine zuständige Stelle vorher bestätigt hat, daß die Voraussetzungen des § 218 b Nr. 1 oder Nr. 2 vorliegen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht nach § 218 strafbar ist. (2) Die Frau, an der der Eingriff vorgenommen wird, ist nicht nach Absatz 1 strafbar. §219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder ermächtigte Beratungsstellen (§ 218 c) darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen der §§ 218 a und 218 b vorzunehmen. (3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird. §219b Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft (1) Wer in der Absicht, rechtswidrige Taten nach § 218 zu fördern, Mittel oder Gegenstände, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in den Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Teilnahme der Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft vorbereitet, ist nicht nach Absatz 1 strafbar. (3) Mittel oder Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können eingezogen werden." Artikel 2 Weigerung (1) Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Mitwirkung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden. Artikel 3 Schwangerschaftsabbruch außerhalb einer geeigneten Einrichtung (1) Die Schwangerschaft darf nur in einem Krankenhaus oder in einer Einrichtung abgebrochen werden, in der die notwendige medizinische Nachbehandlung gewährleistet ist. (2) Ordnungswidrig handelt, wer eine Schwangerschaft unter Verstoß gegen Absatz 1 abbricht. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zehntausend Deutsche Mark geahndet werden. Artikel 4 Bundesstatistik über die unter den Voraussetzungen der §§ 218 a und 218 b des Strafgesetzbuches vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche wird beim Statistischen Bundesamt eine Bundesstatistik geführt. Wer als Arzt einen solchen Schwangerschaftsabbruch ausgeführt hat, hat dies bis zum Ende des laufenden Kalendervierteljahres mit Angaben über 1. den Grund des Schwangerschaftsabbruchs, 2. den Familienstand und das Alter der Schwangeren sowie die Zahl der von ihr versorgten Kinder, Nr. 63 — Tag der Ausgabe: Bonn, den 21. Juni 1974 1299 3. die Zahl der vorangegangenen Schwangerschaften und deren Beendigung, 4. die Dauer der abgebrochenen Schwangerschaft, 5. die Art des Eingriffs und beobachtete Komplikationen sowie 6. den Ort der Vornahme des Eingriffs und im Fall eines Krankenhausauienthalts dessen Dauer dem Statistischen Bundesamt anzuzeigen; der Name der Schwangeren darf dabei nicht angegeben werden. Artikel 5 Verletzung der Geheimhaltungspflicht (1) Wer ein fremdes Geheimnis, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied oder Beauftragter einer ermächtigten Beratungsstelle nach § 218 c des Strafgesetzbuches oder einer zur Begutachtung nach § 219 des Strafgesetzbuches zuständigen Stelle bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Den in Absatz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. (3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Artikel 6 Änderung der Strafprozeßordnung Die Strafprozeßordnung wird wie folgt geändert: 1. § 53 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 1 wird nach Nummer 3 folgende Nummer eingefügt: "3 a. Mitglieder oder Beauftragte einer ermächtigten Beratungsstelle nach § 218 c des Strafgesetzbuches oder einer zur Begutachtung nach § 219 des Strafgesetzbuches zuständigen Stelle über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;"; b) in Absatz 2 wird die Angabe "und 3" durch die Angabe "bis 3 a" ersetzt. 2. § 97 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 1 Nr. 1, 2 und 3 wird die Angabe "Nr. 1 bis 3" jeweils durch die Angabe "Nr. 1 bis 3 a" ersetzt; b) Absatz 2 wird wie folgt geändert: aa) In Satz 1 wird der Strichpunkt durch einen Punkt ersetzt; bb) der zweite Halbsatz des Satzes 1 wird Satz 2 und erhält folgende Fassung: "Der Beschlagnahme unterliegen auch nicht Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt sind, sowie Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 a genannten Personen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam der ermächtigten Beratungsstelle nach § 218 c des Strafgesetzbuches oder der zur Begutachtung nach § 219 des Strafgesetzbuches zuständigen Stelle sind."; cc) der bisherige Satz 2 wird Satz 3. Artikel 7 Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (Bundesgesetzbl. I S. 469) wird wie folgt geändert: 1. In Artikel 18 II Nr. 3 wird in § 5 Nr. 9 das Wort "Abtreibung" durch die Worte "Abbruch der Schwangerschaft" ersetzt. 2. In Artikel 19 Nr. 85 wird in § 203 Abs. 1 nach Nummer 4 folgende Nummer eingefügt: "4 a. Mitglieder oder Beauftragte einer ermächtigten Beratungsstelle nach § 218 c,". 3. Artikel 19 Nr. 90 erhält folgende Fassung: "90. In § 219 a Abs. 1 werden die Worte .Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen durch die Worte .Schriften (§ 11 Abs. 3) ersetzt." 4. In Artikel 21 Nr. 17 wird die Angabe "Satz 2" durch die Angabe "Satz 3" ersetzt. Artikel 8 Außerkrafttreten von Vorschriften Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes treten außer Kraft 1. das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 529), soweit es als Bundesrecht fortgilt, 2. Artikel 2 bis 5 und 14 Abs. 1 der Vierten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 18. Juli 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1035) und 3. § 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 34 des ehemaligen Landes Württemberg-Baden über die Nichtanwendung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 24. Juli 1946 (Regierungsblatt S. 207), soweit durch diese Vorschrift Bestimmungen für anwendbar erklärt werden, die Bundesrecht geworden sind. Artikel 9 Noch nicht vollstreckte Strafen (1) Eine rechtskräftig verhängte Strafe wird, soweit sie noch nicht vollstreckt ist, erlassen, wenn sie 1. wegen einer Tat verhängt worden ist, die nach dem neuen Recht nicht strafbar ist, oder 1300 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1974, Teil I liehen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4 gelten die §§ 458 und 462 der Strafprozeßordnung sinngemäß. Artikel 10 Beendigung von Strafverfahren Ist bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (Artikel 12 Abs. 1) ein Strafverfahren gegen eine Frau wegen des Abbruchs ihrer Schwangerschaft anhängig, so ist § 206 b der Strafprozeßordnung auch dann anzuwenden, wenn der Schwangerschaftsabbruch nicht von einem Arzt vorgenommen worden ist, bei Vornahme durch einen Arzt jedoch nachdem neuen Recht nicht strafbar wäre. Artikel 11 Berlin-Klausel Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Uberleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1) auch im Land Berlin. Artikel 12 Inkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft, soweit in Absatz 2 nichts anderes bestimmt ist. (2) § 218 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Artikels 1 sowie Artikel 7 treten am 1. Januar 1975 in Kraft; zum gleichen Zeitpunkt tritt Artikel 5 außer Kraft. Die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates sind gewahrt. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Bonn, den 18. Juni 1974 Der Bundespräsident Heinemann Der Bundeskanzler Schmidt 2. gegen eine Frau wegen Abbruchs ihrer Schwangerschaft verhängt, worden ist, der nicht von einem Arzt vorgenommen worden ist, bei Vornahme durch einen Arzt jedoch nach dem neuen Recht nicht strafbar wäre. (2) Absatz I gilt entsprechend, wenn ein vor Inkrafttreten des neuen Rechts erlassenes Urteil nach diesem Zeitpunkt 1. rechtskräftig wird, weil ein Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückgenommen wird oder das Rechtsmittel nicht zulässig ist, oder 2. sonst rechtskräftig wird, ohne daß der Schuldspruch geändert werden konnte. (3) Ist der Täter wegen einer Handlung verurteilt worden, die eine nach dem neuen Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat (§ 73 Abs. 2 des Strafgesetzbuches), so sind die Absätze 1 und 2 nicht anzuwenden. Das Gericht setzt die auf die andere Ge-setzesverletzung entfallende Strafe neu fest, wenn die Strafe einer Strafvorschrift entnommen worden ist, die nicht mehr anwendbar ist. Ist die Strafe der anderen Slrafvorschrift entnommen, so wird sie angemessen ermäßigt, wenn anzunehmen ist, daß das Gericht wegen der Verletzung der gemilderten Strafvorschrift auf eine höhere Strafe erkannt hat. (4) Enthält eine Gesamtstrafe Einzelstrafen im Sinne des Absatzes 1 und andere Einzelstrafen, so ist die Strafe neu festzusetzen. In den Fällen der §§ 31 und 66 des Jugendgerichtsgesetzes gilt dies sinngemäß. (5) Bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richter- Der Bundesminister der Justiz Dr. Vogel